Inselzauber
die Abendrunde mit Timo zu übernehmen. Bea ist, was das Gehen und Stehen betrifft, immer noch nicht gut beisammen, so dass es heute wohl nur auf eine kleine Runde mit dem Hund hinauslaufen wird. Andererseits ist es schon ein Fortschritt, dass meine Tante ihre Krücken nicht mehr braucht, die sie in der ersten Zeit nach ihrem Krankenhausaufenthalt benötigt hat.
»Na, dann wünsche ich dir viel Spaß«, erwidert Bea lächelnd und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. »Die Abwechslung wird dir guttun. Schließlich hockst du oft genug abends mit deiner alten Tante am Kamin. Das ist auf die Dauer auch nicht gut. Bis später dann«, sagt sie und geht ins Badezimmer, um sich fertig zu machen.
Nachdem ich Paula am Kindergarten abgesetzt habe, ohne dass sie das Thema Schwimmen noch mal aufgegriffen hat, mache ich mich an die Planung für den heutigen Tag. Von Nele habe ich eine Empfehlung für einen guten Friseur, einen Franzosen, der seinen Coiffeur-Salon in Westerland hat. Ich habe Glück und ergattere für 13.00 Uhr einen der heißbegehrten Termine bei Arnaud, der mich darauf aufmerksam macht, dass ich mindestens drei Stunden für meinen Aufenthalt in seinem Salon einplanen soll. Na toll, denke ich, dann wird die Zeit fürs Einkaufen fast schon knapp, wenn Marco mich um 20.00 Uhr vom Kapitänshaus abholt.
Pünktlich betrete ich den Salon und habe das Gefühl, im falschen Film zu sein. Aus dem hektischen Trubel der Friedrichstraße mit ihren Boutiquen und Kaufhäusern gelange ich auf einmal in so etwas wie ein französisches Boudoir aus der Zeit Ludwigs XIV . Die vorherrschenden Farben sind Lila und Rosa, und mir wird beinahe schwindlig von dem strengen Duft eines riesigen Straußes weißer Lilien, der auf dem Tresen im Eingang steht. Die Tapeten sind aus Brokat und tragen florale Muster. Auf den Frisiertischen stehen Schalen mit Orchideen, und die Stühle erinnern in ihrem Design an einen Thron.
»
Eh voilà,
Mademoiselle Wagner, rischtisch?«, begrüßt Arnaud mich erfreut, nachdem seine Assistentin Coco mich sanft zum Thron dirigiert und mich gebeten hat, Platz zu nehmen.
»Sie kommen auf Empfehlung von Mademoiselle Sievers?«, erkundigt sich Le Figaro und lässt die Hände fachmännisch durch meine Haare gleiten.
»Oh, là là«,
seufzt er dann.
Automatisch zucke ich zusammen. In dieser Beleuchtung und zwischen den langen, gut manikürten Fingern des Friseurs wirken meine Haare, mit denen ich sonst eigentlich ganz zufrieden bin, auf einmal stumpf, ausgelaugt, farblos und kaputt. Wieso ist mir das eigentlich vorher noch nicht aufgefallen?
»Oh, là là«,
sagt Arnaud zum zweiten Mal.
Ich bin sehr gespannt, wie es nun weitergeht. Vielleicht beschließt der Meister gerade, dass es unter seiner Friseurwürde ist, jemanden wie mich als Kundin zu nehmen?
»Coco, schnell, schnell. Die
tableau!
«, ordnet der Figaro an, und Coco eilt los, um das Gewünschte binnen Sekunden herbeizuschaffen. »Wie ist Ihr original ’aarfarb?«, erkundigt sich Arnaud.
Diesmal bin ich irritiert. Wieso fragt er? Das, was sich da auf meinem Kopf befindet, IST meine Originalhaarfarbe. Schließlich bin ich erst neunundzwanzig, weshalb also sollte ich da schon mit Tönungen oder dergleichen beginnen?
»Aah, wir müssen unbedingt nehmen diese warme Karamellton«, schwärmt Arnaud und deutet auf eine Haarsträhne, die an einer Pappe befestigt ist. »Und wir bringen ’inein ein wenisch Frische mit ein paar blonde Strähnschen in Gold. Die ’aare werden wir ein wenig durschschtuf, aber nischt mit der Schere, sondern mit die Messer.«
Beim Stichwort Messer zucke ich zusammen. Wieso Messer? Ich muss ziemlich entsetzt aussehen, denn Arnaud tätschelt mir beruhigend die Schulter, während Coco mich nach meinem Getränkewunsch befragt.
»Ein Glas Cremant pour Mademoiselle?«, erkundigt sie sich charmant.
Wieder bin ich verwirrt, weil ich keine Ahnung habe, was ein Cremant ist. Aber gut, denke ich, heute ist ein Ausnahmetag. So etwas wie Geburtstag. Und wenn sie mir dieses Getränk anbieten, dann werde ich es nehmen.
»Ja, gern«, antworte ich, während Arnaud mit gerunzelter Stirn weiter meine Naturwellen examiniert, sich jedoch eines weiteren Kommentars enthält und stattdessen Coco beauftragt, mich zum Waschbecken zu geleiten, während er sich einer anderen Kundin zuwendet.
Als ich nach dem Shampoonieren und einer wunderbar beruhigenden Kopfmassage wieder auf meinem Thron sitze, inspiziert er erneut mein Haupthaar. »Sieht nass besser
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