Inselzauber
habe, nach meiner Erfahrung mit Stefan und Julias Verhalten, wirkt die Zukunft nicht gerade motivierend. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich nie in einen Mann wie Marco verlieben könnte, weil ich ständig Angst hätte, dass eine Frau versuchen würde, ihn mir wegzuschnappen.
Wie aufs Stichwort piepst mein Handy, und ich erhalte eine Nachricht von ihm, in der er mich für den morgigen Abend einlädt.
»Was hast du vor?«, tippe ich meine Gegenfrage in die Tastatur, bevor ich die Verabredung zusage.
»Spaziergang am Strand mit anschließendem Essen«, lautet die Antwort.
»Kann ich meinen Hund Timo mitbringen?«, frage ich, was Marco bejaht.
»Aha!«, sagt Nele und zieht die Augenbrauen hoch. »Wieder eine Verabredung mit Marco. Die zweite innerhalb von ein paar Tagen. Lissy, sieh mich mal an. Bist du dir sicher, dass du nicht doch ein klitzekleines bisschen in den Typen verknallt bist? Nach allem, was du mir von ihm erzählt hast?«
»Nein, bin ich nicht, aber du bist die Erste, der ich es sage, wenn es so weit ist«, erwidere ich grinsend und beobachte eine Möwe, die am Himmel ihre Kreise zieht.
»Guten Abend, Frau Sievers«, ertönt auf einmal eine männliche Stimme und schreckt uns beide hoch. Vor uns steht ein Mann um die fünfzig, den ich nicht kenne und der Nele streng ansieht. »Sie haben sich nicht auf meinen Brief gemeldet«, sagt er, und ich merke, wie meine Freundin unruhig wird. »Sie wissen, dass die Frist bis Ende des Monats abläuft und Sie bis Freitag bei mir hätten vorstellig werden müssen. Ich kann Ihnen nur dringend raten, morgen zu mir in die Bank zu kommen, ansonsten können wir nichts mehr für Sie tun. Nun wünsche ich den beiden Damen noch einen schönen Abend«, sagt er und geht weiter, wobei er einen Hund hinter sich herzerrt.
»Was war DAS denn?«, frage ich, obwohl ich vermute, dass es sich bei diesem Herrn um Frank Degenhard von der Sylter Sparkasse handelt. Aber das muss ich Nele ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Es sieht ganz danach aus, als käme ich nun um mein Dilemma herum, Nele beichten zu müssen, dass ich den Brief von der Bank gelesen habe.
Meine Freundin ist schlagartig leichenblass, zittert am ganzen Körper und eilt mit den Worten »Ich hol uns mal eben was zu trinken« ins Café. Blairwitch umschmeichelt meine Füße und springt auf meinen Schoß, um sich dort zusammenzurollen. Die hat es gut, denke ich. So eine Katze hat doch weiter nichts zu tun, als zu schlafen, nachts auf Wanderschaft zu gehen, hübsch auszusehen und sich ab und zu ihr Fressen und ihre Streicheleinheiten abzuholen. Sie kennt keinen Kummer, keine Sorgen und lebt alles in allem ein überschaubares Leben. Und hat auch noch sieben davon, wenn man der Legende glauben darf.
Sieben Leben haben, das wär’s, denke ich und überlege, was ich mit den anderen sechs anstellen würde, hätte ich die Chance, sie zu nutzen. Doch ich komme nicht sehr weit mit meinen Überlegungen, weil Nele mit einem lauten Plopp den Korken einer Flasche Prosecco knallen lässt und unsere Gläser füllt. Wenn das so weitergeht, werde ich noch zur Alkoholikerin, denke ich, wobei ich mir in dieser Hinsicht wohl eher um meine Freundin als um mich Gedanken machen muss.
»Also, sag schon, WAS ist los?«, fordere ich Nele energisch auf, mir ihre Sorgen anzuvertrauen. »Hast du schon wieder Ärger mit der Bank? Ich dachte, das sei alles durch die Bürgschaft deiner Eltern geregelt?«
Beschämt senkt sie den Kopf und blickt zu Boden. Es zerreißt mir das Herz, sie so zu sehen, weil ich weiß, wie unangenehm es ihr ist, dass ich sie in einer solchen Situation erwischt habe. Ich bin wütend auf Frank Degenhard und kann nicht glauben, wie indiskret er sich verhalten hat. Gibt es nicht auch in der Bank so etwas wie Schweigepflicht? Man kann eine Kundin doch nicht einfach in einer privaten Situation derart bloßstellen. An sich müsste man sich über ihn beschweren, denke ich, auch wenn das sicher nichts an Neles Situation ändert. Ein leises Schluchzen bringt mich von meinen Racheplänen ab, und ich nehme meine Freundin in den Arm, nachdem ich Blairwitch von meinem Schoß gescheucht habe.
»Nele, Süße, es wird alles wieder gut, glaub mir«, versuche ich sie zu trösten und streiche ihr durchs Haar. »Aber jetzt sag mir erst mal, was los ist, sonst kann ich dir nicht helfen.«
Unterbrochen von zahlreichen Schluchzern und Naseputzen gesteht Nele, dass sie in der Woche, in der sie verschwunden war, gar nicht bei ihren
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