Inselzauber
vollkommen aus dem Häuschen und würde am liebsten permanent bei Bea anrufen, um sie zu fragen, ob sie schon etwas in Erfahrung gebracht hat. Nele berichtet mir per SMS , dass sie Ende der Woche einen Termin bei Frank Degenhard hat, und ich hoffe, dass wir in den kommenden Tagen genug Informationen sammeln können, um einen Überblick über unsere Möglichkeiten zu haben.
»Nanu, du bist ja heute so gut gelaunt?«, stellt Leon am Nachmittag fest, als er – später als sonst – seinen Pressespiegel abholt. »Ist irgendetwas Besonderes passiert?«
Bevor ich antworten kann, steht auf einmal Paula vor mir, flankiert von Vero, welche die Kleine an der Hand hält. Zunächst sagt Paula gar nichts, sondern sieht mich nur stumm an. Ich bin leicht irritiert, weil das Kind noch nie in der Buchhandlung war, und auch Leon lächelt belustigt, angesichts dieser Szene.
»Hallo, Vero, hallo, Paula«, begrüße ich die beiden und umarme die Freundin meiner Tante. »Na, wie geht es euch? Willst du dich mal bei den Kinderbüchern umsehen, Paula?«, frage ich teils aus Verlegenheit, teils um das Eis zu brechen.
»Nein, will ich nicht. Ich möchte morgen mit dir schwimmen gehen«, erklärt Paula knapp, dreht sich um und zieht Vero mit sich aus der Buchhandlung. Dann sind die beiden auch schon verschwunden.
»Was war denn das?«, fragt Leon amüsiert, während ich Vero und Paula verwirrt nachsehe.
»Sieht ganz so aus, als hätte ich jetzt ein Date mit einer Vierjährigen«, murmle ich und überlege, wie ich das Ganze finden soll. Vielleicht hätte ich an jenem Morgen mit meiner Euphorie etwas zurückhaltender sein sollen, anstatt Paula zu etwas zu animieren, wozu ich inzwischen gar keine Lust mehr habe. Ich erzähle Leon kurz, wie es zu dieser Idee kam, vermeide aber zu erwähnen, dass der Grund für meine gute Laune die Aussicht auf mein bevorstehendes Abendessen mit Marco Nardi war. Aus irgendeinem Grund ist es mir wichtig, Leon nicht von Marco zu erzählen. Wie aufs Stichwort piepst mein Handy, doch ich beschließe, später nachzusehen, wer mir eine SMS geschickt hat.
»Tja, dann musst du wohl morgen mit der Kleinen schwimmen gehen, wenn du es ihr versprochen hast«, meint Leon schmunzelnd und zückt sein Portemonnaie. »Oder hast du vielleicht Angst vor Paula und hättest mich gern als Bodyguard an deiner Seite?«
Ich bin kurz versucht, dankend abzuwehren, doch auf einmal erscheint mir die Vorstellung, einen ganzen Nachmittag allein mit der stummen Paula zu verbringen, irgendwie bedrohlich. Du wolltest mal Kinder haben, schimpfe ich mich innerlich und sehe Leon gleichzeitig bittend an. »Wenn es dir morgen passt, würde ich mich sehr freuen, wenn du mitkämst. Dann könnten wir zur Sylter Welle nach Westerland fahren. Aber erstens muss ich mit Frau Stade noch klären, ob ich frei bekomme, und zweitens kann ich mir vorstellen, dass du morgen Wichtigeres zu tun hast, als mit uns zwei Grazien schwimmen zu gehen.«
»Das lass mal meine Sorge sein«, antwortet Leon, und ich stelle zu meiner Freude fest, dass er heute schon viel besser aussieht als am Samstag. Seine Augen blicken wieder klarer in die Welt, und er scheint auch ausreichend geschlafen zu haben. Vielleicht ist sein Kummer bereits auf dem Rückzug. »Gib mir einfach heute Abend Bescheid, wann wir los wollen, und ich hole euch beide mit dem Auto ab. Vielleicht können wir nach dem Schwimmen mit Paula noch zu McDonald’s, falls ihre Mutter nichts dagegen hat.«
Mit diesen Worten verlässt Leon die Bücherkoje, und ich frage mich zum wiederholten Male, wie Julia sich wegen irgendeines Chefredakteurs von diesem netten Mann trennen konnte.
Am Abend holt Marco mich vom Kapitänshaus ab, plaudert noch eine Weile mit Tante Bea, während ich Timo suche und ihm die Leine anlege, und dann fahren wir mit seinem Wagen Richtung Kampen, um dort spazieren zu gehen. Als wir die Holztreppe zum Strand hinaufsteigen, muss ich an mein winterliches Picknick mit Leon denken. Diesmal bin ich mit einem anderen Mann hier, einem nicht minder attraktiven, charmanten und ebenso guten Gesprächspartner.
»Hast du inzwischen mit dem Schreiben begonnen?«, erkundige ich mich, während wir den endlos lang wirkenden Sandstrand entlanggehen.
Diesmal bietet sich ein völlig anderes Bild als im Winter: Zahllose Strandkörbe mit ihrem buntgemusterten Inneren säumen das Ufer. Unzählige Sandburgen zeugen davon, dass hier schon einige Kinder (oder Erwachsene?) die Strandsaison eröffnet haben. Es ist
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