Inselzauber
Idee zu unterbreiten, die meiner Meinung nach die Lösung für alle Probleme sein könnte. »Lissy, du siehst aus, als brütest du etwas aus«, stellt meine Tante fest und lächelt mich an. »Also, raus damit! Ich sehe es dir doch an der Nasenspitze an, dass du einen Vorschlag hast. Diesen Gesichtsausdruck hattest du schon als Kind.«
Ermutigt durch ihre Aufforderung, stelle ich nun DIE Frage, die mir schon seit Wochen im Kopf herumgeistert. »Bea, Nele, könntet ihr euch vorstellen, dass wir das Möwennest und die Bücherkoje zusammenführen? Als eine Art Buchcafé? Als einen kulturellen Treffpunkt für Lesungen, Ausstellungen, Konzerte oder andere Events? Als einen Ort der Begegnungen mit Literatur und Kunst, an dem man auch essen und trinken kann?«
Für einen Moment herrscht Stille im Esszimmer des Kapitänshauses. Es ist so leise, dass man sogar Timos Atem hört, der zu unseren Füßen neben dem Tisch liegt und schläft.
»Oh«, sagt Bea schließlich gedehnt, und Nele sieht mich irritiert an.
Mein Herz klopft, und ich habe auf einmal das Gefühl, noch nie im Leben etwas Dümmeres vorgeschlagen zu haben. »Schon okay«, wiegle ich verlegen ab. »Vergesst einfach, was ich gerade gesagt habe. Vielleicht ist es doch keine so tolle Idee. Außerdem müsste man erst einmal genügend Geld haben, um so etwas zu realisieren.«
Nun ergreift Bea das Wort, weil Nele immer noch aussieht wie ein verschrecktes Reh und keinen Mucks sagt. »Jetzt tu das nicht gleich wieder ab, Lissy. Dein Vorschlag ist gar nicht so uninteressant. Ich denke da spontan an euren Erfolg, als ihr die Kochbuchpräsentation ins Möwennest verlegt hattet. So etwas könnte man sicher häufiger machen. Besonders in der Saison, wenn es mal wieder regnet und die Touristen nicht wissen, wohin mit ihrer Langeweile. Prinzipiell passen Bücher und kulinarische Genüsse gut zusammen. Und die beiden Läden liegen direkt nebeneinander und werden von derselben Hausverwaltung vermietet. Man müsste sich also einfach mal erkundigen, ob eventuell ein Durchbruch erlaubt wäre und was ein solcher Umbau kosten würde.«
Ich bin erstaunt und beglückt zugleich, weil meine Tante die Idee nicht als komplett abstrus abweist.
Mittlerweile ist auch in Nele wieder Leben gekehrt, und ihre Wangen nehmen Farbe an. »Woher sollen wir denn das Geld für so etwas nehmen?«, fragt sie und trifft damit den Kern des Problems.
»Das müssen wir sehen«, antwortet meine Tante und lächelt verschmitzt. »Ich habe im Moment doch sowieso nichts anderes zu tun, als hier den ganzen Tag untätig herumzusitzen. Ich denke heute Nacht mal ein wenig nach, anstatt wie sonst Schäfchen zu zählen, und werde morgen ein bisschen herumtelefonieren. Mit der Hausverwaltung und einem Architekten. Nele, du müsstest morgen zu diesem Frank Degenhard gehen und ihm klarmachen, dass du derzeit an einem Konzept bastelst, das du ihm so bald wie möglich unterbreiten willst. Du musst es irgendwie schaffen, ihn hinzuhalten. Wenn du willst, kannst du gerne andeuten, dass du mit mir in Verhandlungen über eine Zusammenarbeit stehst. Schließlich habe ich einen guten Ruf auf der Insel. Das sollte reichen, um dir ein paar Tage Aufschub zu verschaffen!«
Ich kann es kaum fassen! Da grüble ich tage- und wochenlang, verwerfe meine Idee immer wieder, weil sie mir zu versponnen scheint, und nun wirkt es so, als sei sie nicht völlig aus der Luft gegriffen. »Du bist ein Schatz!«, juble ich und falle Bea spontan um den Hals.
»Halt. Stopp, meine Süße. Immer langsam. NOCH ist nichts entschieden, freu dich also nicht zu früh.«
»Das ist aber immerhin eine Perspektive«, murmelt Nele, während ihr schon wieder Tränen über die Wangen kullern.
Als ich später im Bett liege und der Mond sein Licht durch das Fenster wirft, muss ich daran denken, was mein Vater früher immer zu mir gesagt hat: »Glaub an deine Träume, und lass dich nicht beirren. Behalte die Wirklichkeit im Blick, aber erlaube ihr nicht, die Herrschaft über deine Phantasie zu übernehmen. Denn Träume verleihen Flügel!«
Mit diesem Satz im Kopf schlafe ich schließlich ein und träume von einer pompösen Eröffnungsfeier des »Büchernests«, wie ich das Projekt von nun an nenne.
Am nächsten Tag ertappe ich mich mehrmals dabei, wie ich die Bücherkoje im Geiste umbaue. Als Laie habe ich den Eindruck, dass es gar nicht mit so viel Aufwand verbunden sein dürfte, einen Durchbruch zwischen den beiden Räumlichkeiten zu machen. Ich bin
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