Inselzauber
Mutter Dienstschluss hat.
»Ist das nicht furchtbar traurig?«, fragt Leon, als könne er meine Gedanken lesen. »Die Mutter kann sich nicht genug um ihre Tochter kümmern, weil sie hier in einem drittklassigen Restaurant kellnern muss, um den Lebensunterhalt für beide zu verdienen. Währenddessen vergnügt sich ihr Mann unter Garantie mit seiner neuen Freundin und lässt es sich gutgehen. Ich finde, auf der Welt geht es manchmal ziemlich ungerecht zu!«
»Das stimmt«, antworte ich, während ich Tanja beobachte, die fast genauso alt ist wie ich, aber um einige Jahre älter und zudem blass und überarbeitet aussieht. Sie steckt in einer unvorteilhaften Friesentracht und trägt dazu schäbige, ausgetretene Gesundheitsschuhe. »Da kannst du mal sehen, wie gut wir es eigentlich haben«, füge ich hinzu und proste Leon zu. »Darauf, dass es uns nie schlechtgehen möge!«
Als ich nach Hause komme, kann ich es kaum erwarten, mein Handy anzuschalten, um nachzusehen, ob ich eine Nachricht von Marco erhalten habe. Doch sosehr ich auch auf mein Display starre und am Mitteilungseingang herumspiele – keine SMS von ihm. Weitaus enttäuschter als gedacht, begebe ich mich nach unten zu Bea, die mit hochroten Wangen am Esstisch sitzt und irgendwelche Papiere vor sich ausgebreitet hat. Timo liegt zu ihren Füßen und schläft mal wieder.
»Was ist das?«, erkundige ich mich und setze mich zu ihr.
»Das sind die Baupläne der Bücherkoje«, antwortet meine Tante und deutet auf den Grundriss. »Ich überlege gerade, wo man am besten die Wand durchbrechen könnte und wie der Umbau dann vonstattengehen müsste. Wenn ich mir das so ansehe, kann das alles eigentlich nicht besonders aufwendig sein. Das einzig wirklich Teure wären sicher die Fensterfronten, die man komplett erneuern müsste. Beide Läden sind im Grunde genommen zu dunkel, und das wäre eine gute Gelegenheit, überall Schiebetüren einzubauen. Dann könnte man auch besser Gäste draußen bewirten!«
»Das klingt, als sei es dir wirklich ernst mit der Sache«, hake ich nach und schenke mir ein Glas Wasser ein. »Wie willst du es denn draußen machen? Wir bräuchten dann so etwas wie eine Terrasse, oder nicht?«
»Ja, bräuchten wir, und ich habe heute auch schon mit Ole darüber gesprochen, welches Material man da am besten nimmt und wie teuer so was ist. Ole findet dieses neue Tropenholz am besten, das man momentan überall auf den Balkonen sieht. Ist zwar nicht ganz billig, aber er hat Kontakte zu einem Holzhändler und würde uns einen guten Preis für den Bau machen. Außerdem hat er ein paar Freunde, die sich zu Hause langweilen und lieber für uns eine Terrasse bauen würden, als sich den ganzen Tag mit ihren Ehefrauen zu streiten.«
»Hast du dir auch überlegt, wovon du das alles bezahlen willst? Nele hat kein Geld. Und das Wichtigste wäre doch erst einmal, sich zu überlegen, wie ihr beide euch geschäftlich einigt. Wäret ihr trotzdem separate Geschäftsführerinnen, oder übernimmst du das Ganze und stellst Nele nur an?«
Ich schwanke gerade zwischen Begeisterung darüber, wie schwungvoll Bea sich auf dieses Projekt stürzt, und Bedenken, ob zwei so starke und selbständige Persönlichkeiten sich einigen können, was die Führung dieses Buchcafés betrifft.
»Ja, darüber zerbreche ich mir im Augenblick auch den Kopf. Die Finanzierungsfrage sehe ich nicht als problematisch an, aber ob Nele und ich problemlos miteinander klarkommen, ist natürlich nicht gesagt.«
»Die wichtigste Frage bei diesem Vorhaben ist aber erst einmal, weshalb du dir den ganzen Stress überhaupt antun willst? Nur weil Nele in Schwierigkeiten steckt und diese Lösung ganz gut wäre, heißt das noch lange nicht, dass du dich in deinem …« Mist, fast hätte ich mich verplappert, denke ich und beiße mir auf die Zunge.
»Sag es ruhig«, lacht Bea. »Du fragst dich, weshalb ich mir das in einem Alter antun möchte, in dem andere ihren wohlverdienten Ruhestand herbeisehnen.«
Ich nicke leicht verschämt, als auf einmal das Piepsen meines Handys die Stille durchbricht. Mein Herz klopft, und ich kann kaum an mich halten, nach oben zu stürzen, um nachzusehen, wer mir geschrieben hat.
»Was findest du eigentlich so toll an diesen Handys?«, fragt Bea.
Währenddessen ermahne ich mich, nicht zu sehr darauf zu hoffen, dass die Nachricht von Marco ist. Schließlich hatten wir bloß einen netten Abend, mehr nicht. Kein Grund, aufzuspringen und das Gespräch mit meiner Tante zu
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