Inselzirkus
starrte Mamma Carlotta auf die Schuhe, die sich aufreizend gemächlich die Stufen hinabbewegten. Sie waren schwarz, ihre Kappen mit silbernen Ringen besetzt.
»Am Hochkamp! Vor Käptens Kajüte! Später wird auch drinnen gedreht, aber dann kannst du natürlich nicht dabei sein. In so einer Kaschemme haben Jugendliche nichts verloren.«
An den Beinen trug Carolin eine blickdichte schwarze Strumpfhose, darüber einen ebenso schwarzen Minirock, der auch als breiter Gürtel durchgegangen wäre. Als sie am Fuà der Treppe angekommen war, präsentierte sie ihrer Nonna über dem schwarzen Rolli eine schwarze Weste, die am Rand mit silbernen Nieten besetzt war. Darüber hatte sie unzählige Ketten geschlungen, an jeder baumelte ein imposanter Anhänger. Zu Mamma Carlottas Freude waren auch zwei oder drei Kreuze dabei. Dafür wollte sie über den Totenkopf hinwegsehen, der an der längsten Kette hing, sodass er auf Carolins Bauchnabel gelandet war.
»Che bello, Carolina! Stammen diese Ketten noch von deiner Kommunion?«
Carolin drückte sich ohne ein Wort an ihr vorbei in die Küche. War sie überhaupt noch bereit, als Komparsin zu arbeiten? Mamma Carlotta war der Meinung, dass sich mit dem Tod des Chefautors alles verändert hatte. Aber glaubte Carolin das auch?
Doch bevor sie eine diesbezügliche Frage stellen konnte, begann das Telefon in der Diele zu klingeln. Kommissar Vetterich war am anderen Ende. Mamma Carlottas ausgiebige BegrüÃung und ihre Frage nach der Gesundheit seiner Familie nahm er nicht zur Kenntnis, und dass sie sich an die Mandelentzündung seiner jüngsten Tochter erinnerte, schien ihn mehr zu befremden als zu erfreuen. »Ist Ihr Schwiegersohn zu sprechen?«
»Sì, sì! Naturalmente!«
Mamma Carlotta trug das Telefon in die Küche und drückte es Erik ans Ohr. Dann setzte sie sich und versuchte, ins Gesicht ihrer Enkelin zu sehen, die sich jedoch so tief über ihren Suppenteller beugte, dass nicht zu erkennen war, ob ihr erster Einsatz als Komparsin ihre Zustimmung gefunden hatte. Das lag auch an der Haarsträhne, die so weit über ihre Stirn fiel, dass die Haarspitzen beinahe in die Suppe reichten. Sooft Mamma Carlotta es beklagt hatte, dass Carolin ihre Haare stets mit einem schmucklosen Gummiband im Nacken zusammengefasst hatte, hätte sie ihr jetzt gern ein Gummiband gereicht, um sicherzustellen, dass die Strähne nicht in der Tomatensuppe landete. Aber da sie eine diplomatische GroÃmutter war, unterlieà sie es. Carolin musste mit Samthandschuhen angefasst werden. Wie alle pubertierenden Jugendlichen, wie alle Künstler und erst recht wie die verhinderten Künstler, die sich um ihre Karriere betrogen sahen. Hoffentlich war es nicht umsonst gewesen, dass sie Tanja Möck angefleht hatte, auch ihre Enkelin zu den Aufnahmen zu bestellen, die am Nachmittag stattfinden sollten. Erst nach vielen Erklärungen und unzähligen Hinweisen auf die seelische Gesundheit einer Heranwachsenden hatte Tanja schlieÃlich nachgegeben. »Meinetwegen! Dann bringen Sie das Mädchen in Gottes Namen mit!«
Carolin sah ihre GroÃmutter nicht an und würdigte auch ihren Vater keines Blickes, während sie die Tomatensuppe in sich hineinlöffelte, ohne zu erkennen zu geben, ob sie ihr schmeckte. Unter anderen Umständen hätte Mamma Carlotta sich über diese Undankbarkeit beklagt und auf dem Anspruch der Köchin bestanden, mit viel Lob zu weiteren kulinarischen Leistungen angeregt zu werden. Aber diesmal hielt sie sich zurück.
»Es war Frau Möck sehr wichtig«, behauptete sie, »dass du Zeit hast, Carolina. Ich glaube, sie braucht eine junge Frau, die besonders begabt ist.«
»Seit wann muss man begabt sein, um von links nach rechts zu laufen?«, brummte Carolin.
Mamma Carlotta war glücklich, dass sie überhaupt das Wort an sie richtete, und blieb dabei, dass Tanja Möck auf das Erscheinen Carolins besonderen Wert legte, weil sie ihr auÃergewöhnliches Talent bescheinigte. »Es wird ein Stunt gedreht, das ist sicherlich molto interessante. Bruce Markreiter soll in seiner Rolle über das Dach von Käptens Kajüte klettern. Das ist natürlich für einen groÃen Schauspieler viel zu gefährlich. Also macht das der Stuntman für ihn.« Ausführlich berichtete sie Carolin, dass sie Luca Medina, den Stuntman, bereits kennengelernt habe und dass er
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