Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inselzirkus

Titel: Inselzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
redeten ganz offen darüber und fanden nichts dabei!
    Â»Scandaloso!«, flüsterte Mamma Carlotta.
    Natürlich kam es auch in ihrem Dorf gelegentlich vor, dass sich eine Frau zu einem Mann ins Bett legte, mit dem sie nicht verheiratet war. Die Tochter von Signora Neri sollte es sogar getan haben, damit der Besitzer der Fleischfabrik sie zu seiner Chefsekretärin machte. Aber redete sie darüber? Nein, sie hatte alles abgestritten, als sie mit ihrem Chef auf dem Schreibtisch erwischt worden war, und blieb auch nach zwei Jahren noch dabei, dass ihr schlecht geworden sei, dass ihr Chef sie auf den Schreibtisch gebettet und mit Mund-zu-Mund-Beatmung versucht habe, ihr zu helfen. Unvorstellbar, dass Signorina Neri darüber gelacht hätte, als sie die Stelle sicher hatte, oder gar über ein bestimmtes Körperteil des Chefs ihren Spott trieb, von dem sie eigentlich nichts wissen durfte. Und daran, dass drei Mitarbeiterinnen der Fleischfabrik gleichzeitig um die Gunst ihres Chefs buhlten, mochte Mamma Carlotta gar nicht denken. In der Fleischfabrik hätte es Mord und Totschlag gegeben, jede hätte versucht, den anderen beiden den Kaffee zu vergiften oder zumindest deren Ruf zu ruinieren. Miteinander Sekt trinken und über den gemeinsamen Liebhaber spötteln? Undenkbar! Für so etwas musste man sich wohl zum Volk der Künstler zählen! In Carlottas Dorf aber gab es niemanden, der künstlerische Ambitionen hatte. Höchstens die Organistin, aber die war um die siebzig, unverheiratet und so prüde, dass sie ihre eigene Unterwäsche nicht neben die Unterhosen ihres Vaters zum Trocknen auf die Leine hängte.
    Mamma Carlotta schritt an den Kulissen vorbei, die zurzeit menschenleer waren. Am Ausgang war es mit ihrer Entrüstung schon vorbei. Sie musste sich eingestehen, dass der selbstbewusste Umgang dieser drei Frauen mit Amore sie auch beeindruckte. Und Harry Jumperz geschah es zweifellos recht, dass man so mit ihm umging.
    Sie öffnete die Tür und trat auf die hölzernen Bohlen, die um die Halle herumführten. Über dem großen Rasenplatz stand die Sonne. Das grelle Mittagslicht war mittlerweile weicher geworden, mit längeren Schatten. Der Gedanke, dass Carolin in dieser Welt ihre berufliche Zukunft suchte, gefiel ihr plötzlich gar nicht mehr. Am Ende würde auch ihre Enkelin, um eine Rolle zu bekommen …?
    Â»No!« Mamma Carlotta schüttelte diesen schrecklichen Gedanken schnell wieder ab. Vielleicht hatte Erik doch recht. Dies war eine Scheinwelt, in der Kinder nichts zu suchen hatten. Sie bereute nun, dass sie es den beiden ermöglicht hatte, an eine Komparsenrolle zu kommen. Um Felix machte sie sich keine Sorgen, der hatte keine künstlerischen Ambitionen, und wenn er durch »Liebe, Leid und Leidenschaft« gelegentlich auf sein Käppi verzichtete, war nach Meinung seiner Nonna schon viel erreicht. Aber Carolin? Die lernte »Minna von Barnhelm« auswendig, ohne sich darüber im Klaren zu sein, auf welche Fähigkeiten es wirklich ankam, wenn sie eine Rolle ergattern wollte.
    Auf dem Platz des Inselzirkus ging es ruhig zu. Gelegentlich lief jemand von einem Zirkuswagen zum anderen, eine junge Frau saß auf den Stufen eines Wagens und telefonierte, aus dem der Casting-Chefin tönte Gelächter, aus einem anderen eine wütende Stimme. Jetzt erst fiel Mamma Carlotta auf, dass der Platz mit einem hohen, stabilen Gitter eingezäunt war. Am Eingang befand sich eine Schranke, die ihr bei der Ankunft nicht aufgefallen war, weil sie geöffnet gewesen war, als die Kandidaten für die Komparsenrollen erwartet wurden. Jetzt war sie geschlossen, daneben stand ein Mann vom Sicherheitsdienst und bewachte den Eingang.
    Auf dem Platz patrouillierten drei weitere Männer in dunklen Uniformen, die dafür sorgten, dass niemand hier eindrang und die Schauspieler bei ihrer Arbeit störte. Mamma Carlotta sah außerhalb des Zauns einige Fans stehen, die den Platz mit ihren Blicken absuchten. Anscheinend hofften sie darauf, einen Star von »Liebe, Leid und Leidenschaft« zu entdecken, und waren nun enttäuscht, dass sie nur Leute sahen, die vor der Kamera keine Aufgabe hatten.
    Dann aber hörte sie eine helle Stimme: »Bruce!« Andere fielen ein, und schon skandierte eine Gruppe von fünf oder sechs jungen Frauen: »Bruce! Bruce!«
    Tatsächlich trat gerade Bruce Markreiter aus dem Zirkuswagen, an dem ein Schild

Weitere Kostenlose Bücher