Inselzirkus
mit der Aufschrift »Maske« angebracht war, und ging zu einem anderen Wagen, der abseits stand. Nicht an dem Zaun, an dem der Fahrradweg nach Kampen entlangführte, sondern in der Nähe der Kulissenhalle, weit entfernt von den Stellen, wo sich Neugierige an den Zaun drückten und ihre Stars beobachten konnten. Er trug eine enge Jeans, die zeigte, dass er trotz seiner gut fünfzig Jahre eine fabelhafte Figur hatte, dazu helle Turnschuhe, ein schwarzes T-Shirt und eine beige Lederjacke. Seine dunklen Haare hatten die berühmten grauen Schläfen, die einen Mann angeblich noch attraktiver machten. Eine Frau jedoch auf keinen Fall, das war Mamma Carlotta mittlerweile aufgegangen. Markreiter bewegte sich aufrecht und mit groÃen Schritten auf seinen Wagen zu, wirkte aber dennoch nicht arrogant oder gar abweisend.
Ein Zirkuswagen, der ihm ganz allein gehörte? Einem Stargast wie ihm wurde sicherlich nicht zugemutet, seine Freizeit in der Kantine zu verbringen, wenn sie so kurz war, dass es sich nicht lohnte, ins Hotel zurückzukehren. Bruce Markreiter winkte seinen Fans freundlich zu, ging aber nicht zu ihnen, um Autogramme zu verteilen, obwohl die Mädchen mit ihren Schreibblöcken winkten.
Enttäuscht wandten sie sich ab, als er im Wagen verschwunden war. Zwei, drei lösten sich nur ungern vom Zaun, aber schlieÃlich glaubten auch sie nicht mehr daran, dass ihr Star an den Zaun treten würde, um ein paar persönliche Worte mit ihnen zu wechseln. Und da einer der Wachmänner bereits ein paar Schritte auf sie zu machte, die durchaus bedrohlich wirkten, gaben sie es auf, Bruce Markreiter näher zu kommen.
Mamma Carlotta wurde plötzlich klar, dass sie privilegiert war. Heidi, Beate und Kristin hatten ihr ermöglicht, nicht nur einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, sondern sich sogar länger dort aufzuhalten, als es allen anderen gestattet wurde. Sie würde darauf achten müssen, sich nicht damit zu brüsten, wenn sie beim Abendessen saÃen, und nicht zu viel zu schwärmen von den neuen Eindrücken. Carolin würde dann noch weniger bereit sein, ihr den Angriff auf den Chefautor zu verzeihen. Hoffentlich besaà die Casting-Chefin wirklich die Macht, Mamma Carlotta und ihre Enkel zu Komparsen zu machen, obwohl der Chefautor dagegen war!
Diese Sorge pochte noch immer in ihrer Brust. Aber sie war wie weggeblasen, als sie eine junge Frau sah, die gerade die Schranke passierte. Mamma Carlotta liebte es, Bekanntschaften zu schlieÃen, zu vertiefen und zu erneuern. Einen sympathischen Menschen kennenzulernen war eine groÃe Freude. Ihn wiederzutreffen, sich aneinander zu erinnern, an ein Gespräch anzuknüpfen, zu zeigen, dass man nichts von dem vergessen hatte, was der andere von sich und der Familie erzählt hatte ⦠all das war höchstes Glück. Und manchmal bekam ein solches Wiedersehen eine zusätzliche Bedeutung, nämlich dann, wenn es sich um Begegnungen mit Menschen handelte, die wichtig waren.
Wichtig waren natürlich die Lehrer der Kinder. Mamma Carlotta war nicht von der Idee abzubringen, dass die Schulnoten von der Sympathie abhingen, die ein Lehrer nicht nur den Kindern, sondern auch der Familie der Kinder entgegenbrachte. Deswegen hatte sie den Lehrern ihrer eigenen Kinder zu Ostern und Weihnachten immer selbst gebackenen Kuchen gebracht und nicht davor zurückgeschreckt, auch den schlechtesten Lehrer für seine pädagogischen Fähigkeiten zu loben, wenn er ihr beim Bäcker oder im Gottesdienst begegnete. Noch heute war sie davon überzeugt, dass ihr ältester Sohn es nie zu etwas gebracht hätte, wenn sie seinen Klassenlehrer nicht regelmäÃig auf dem Markt getroffen und ihm dort ihre besten Rezepte verraten hätte.
So war es auch jetzt keine Frage, dass sie die junge Referendarin ausgiebig begrüÃen musste, die sie kürzlich in Westerland kennengelernt hatte, als sie mit Carolin einen Bummel über die FriedrichstraÃe machte. Eine reizende junge Frau, nicht nur wegen ihrer angeblichen Ãhnlichkeit mit Cindy Crawford! Es wurde wirklich Zeit, dass man sie für ihr pädagogisches Geschick und ihr Engagement lobte.
»Signorina Olsted!«, rief sie, noch ehe sie sich darüber wundern konnte, was die Referendarin auf dem Gelände machte. »Wie schön, Sie wiederzusehen!«
Alina Olsted sah Mamma Carlotta mit groÃen, erstaunten Augen entgegen. Dass sie nicht wusste, wen
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