Inshallah - Worte im Sand - Roman
aus. Wie kam es, dass sie so blind war? Sie konnte doch lesen.
»Die Amerikaner konnten dir nicht helfen. Das tut mir leid, mein Kind.«
Ich nippte am Tee und hasste mich dafür, den Kopf beim Trinken weit in den Nacken legen zu müssen. Wir schwiegen wieder.
»Möchtest du mir deine Fortschritte beim Schreiben zeigen?«
»Nein«, sagte ich. Und da wusste ich, was mir auf der Zunge gelegen hatte. »Ich will nichts mehr lernen.« Ich zeigte auf meinen Mund. »Für ein Mädchen wie mich ist diese Lernerei sinnlos. Ich bekomme durch das Lesen keinen schönen Mund. Ich finde keinen Mann durch Gedichte. All das sind nur nutzlose, alte Worte in verstaubten Büchern.« Außerdem musste ich los, um meiner Schwester bei den Vorbereitungen für die Feier zu helfen. Ich stand auf. »Verzeihung. Aber ich muss aufbrechen.«
Meena stellte ihre Tasse auf den Tisch und senkte Hände und Blick in ihren Schoß. »Sehr bedauerlich.«
Ich nickte. »Ich hätte nicht einmal im Traum daran denken dürfen, dass mein Mund normal aussehen könnte.«
»Nein, mein Kind. Ich finde es bedauerlich, dass du dem Flüchtigen so viel Wert beimisst. Der äußeren Erscheinung. Der Schönheit. All das vergeht mit der Zeit. Aber die Literatur, die deine Mutter liebte – die du liebst –, ist zeitlos.« Meena blickte mich aus tiefen, dunklen Augen an.
Ich wünschte, sie würde verstehen. »Ich bin nicht so klug wie Mada. Und auch nicht so schön.« Plötzlich brannten meine Augen. Ich wollte weg, bevor ich in Tränen ausbrach. »Ihre Bücher, Meena – sie sind nicht mein Leben.« Ich wischte mir über die Augen. »Ich muss nach Hause und meiner Schwester helfen.« Damit ging ich zur Tür.
»Warum wolltest du operiert werden?«
Ich blieb stehen und holte tief Luft. »Das habe ich doch schon gesagt. Ich möchte normal aussehen.«
»Und sobald du, wie du sagst, ›normal‹ aussiehst – was wirst du dann tun?«
Ich drehte mich zu ihr um. »Wie meinen Sie das?«
Meena rutschte höher auf das Bett, um sich gegen die Wand lehnen zu können. »Was würdest du tun, wenn du nach einer Operation wieder normal aussähest?« Ich wollte ihr antworten, aber sie unterbrach mich. »Würdest du wie deine Schwester heiraten? Und was dann?«
» Was dann ?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Was waren das für dumme Fragen? »Die Leute würden sich bei meinem Anblick nicht mehr ekeln.«
Meena schüttelte den Kopf. »Du würdest also einen Mann finden, der sich nicht vor dir ekelt.«
»Ja!« Ich breitete die Arme weit aus.
»Und in welcher Hinsicht wäre dein Leben anders als jetzt?«
»Woher soll ich das wissen? Es wäre – ich meine … Ich müsste mir nicht immer Beschimpfungen anhören, und …« Glaubte sie wirklich, dass ich für immer so aussehen wollte? Erwartete sie ernsthaft, dass ich mich darüber freute, nicht operiert worden zu sein? »Es wäre anders, weil ich meine Zeit dann nicht mehr mit Ihren dummen, alten Büchern vergeuden müsste!«
Ich rannte durch die Schneiderei und aus der Tür auf die Straße. Ich hatte keine Lust mehr auf Meenas verrücktes Geschwätz. Meine Schwester und Malehkah brauchten Hilfe bei den Vorbereitungen und ich würde sie nicht im Stich lassen. Schluss mit den selbstsüchtigen Träumen. Ich musste mich endlich wieder auf das besinnen, was wirklich zählte.
Als ich den Hof betrat, saß Zeynab auf der Veranda. Sie wedelte sich mit einem Fächer Luft zu, den ich ihr aus ein paar Seiten des Notizbuches der Amerikaner gebastelt hatte. Sie hatte Make-up aufgelegt und pustete erschöpft aus rot geschminkten Lippen Luft aus. »Warum muss es ausgerechnet in der heißesten Jahreszeit sein?« Sie lächelte erst, dann lachte sie gezwungen. Ich teilte ihr Leid. An diesem Abend, dem letzten, den sie bei uns verbrachte, war es immer noch drückend heiß, obwohl die Sonne bald untergehen würde. Der Wind blies Staub und Sand vor sich her.
Malehkah kam aus dem Haus. »Ab in das Wohnzimmer, ihr beiden.« Sie scheuchte uns über den Hof in den kleinen Raum, nahm die Paprikaschoten und steckte siein ihre Taschen. Dann drückte sie mir einen feuchten Lappen ins Gesicht. »Wasch dich so gut wie möglich.« Sie rannte hin und her wie vom wilden Affen gebissen und richtete die Kissen, auf denen die Frauen der Familie Abdullah sitzen würden.
»Hier ist es so heiß wie in einem Backofen, Mada«, sagte Zeynab.
»Dann ist es eben so. Aber wenn du nicht drinnen bleibst, wird dein Make-up sandig sein. Und was wird deine neue
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