Inshallah - Worte im Sand - Roman
Motorenlärm etwas zu. Als sie nickte, stand er auf, ging durch den Hubschrauber und löste Najibs Gurt. Dann liefen beide herum, erst vorsichtig, dann immer entspannter. Sie zeigten beglückt auf die Aussicht, die sich aus der hinteren Luke bot. Ich hatte anfangs Angst um sie. Der Soldat, der am Maschinengewehr saß und die Beine aus der Luke baumeln ließ, war im Gegensatz zu Shiaraqa und Najib mit einem langen Gurt gesichert. Shiaraqa knipste mit einer kleinen Kamera Bild um Bild. Captain Mindy grinste. Offenbar war es ungefährlich. Ich tauschte einen Blick mit ihr und wir lachten beide über die beiden dewana , die zwei verrückten Afghanen.
Danach lehnte Captain Mindy den Kopf zurück und schloss seelenruhig die Augen. Die meisten Soldaten schliefen, aber Najib und ich blieben die ganze Zeit wach und betrachteten unser Land von hoch oben. Das tiefe Rot der hohen, felsigen Berggipfel und die helleren Brauntöne von Tälern und trockenen Ebenen sahen aus wie von Allah gemalt. Das war Afghanistan, meine schöne Heimat.
Nach einer guten Stunde kamen wieder Straßen und Gebäude in Sicht. Ich spürte, wie der Hubschrauber tiefer ging. Mein Magen krampfte sich zusammen, meine Kehle brannte. Mein Bruder, der immer noch über den Flug staunte, drehte sich zu mir um und nickte zur Luke. Ich wusste, dass wir uns Kandahar näherten.
Bald würde man mich operieren.
Nach der Landung folgten wir Captain Mindy und Shiaraqa aus dem Hubschrauber. Ich beschirmte meine Augen vor der grellen Sonne. Vor uns vibrierte die Luft über einer langen Asphaltstraße, so breit wie zwei oder drei Grundstücke in An Daral und mindestens doppelt so lang wie die Basarstraße. In einem halben Kilometer Entfernung standen Hubschrauber wie der, mit dem wir gekommen waren. Ich zählte zehn oder mehr. Dahinter hatte man kleinere Helikopter aufgereiht. Sie hatten nur einen Propeller, waren aber mit großen Geschützen und Rohren bestückt, bei denen es sich vermutlich um Raketen handelte.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und fuhr herum. Najib nickte zu Captain Mindy und Shiaraqa, die ein paar Schritte weiter weg auf uns warteten. Ich Dummkopf! Shiaraqa hatte uns gebeten, ihnen zu folgen, und ich stand da und zählte Helikopter. Bis gestern hatte ich Hubschrauber nur ein oder zwei Mal auf dem Basar im Fernsehen gesehen. Heute war ich mit einem geflogen und hier standen noch viel mehr herum. Ich zog den Tschador vor mein Gesicht.
Najib nahm meine Hand und wir folgten Captain Mindy und Shiaraqa auf einer schmaleren Straße, auf der Lastwagen, Autos und bewaffnete Fahrzeuge der Amerikanerunterwegs waren. Beide Straßenseiten waren von Holzgebäuden, Zelten und Bereichen gesäumt, wo Autos nebeneinander standen.
Ich fand es verwirrend, dass jeder Soldat, dem wir unterwegs begegneten, die rechte Hand an die Mütze legte. Dabei sagte sie alle etwas auf Englisch und Captain Mindy ahmte die Geste nach. Nachdem das gut dreißig Mal passiert war, kamen wir an einem älteren Mann vorbei. Nun legte Captain Mindy zuerst die Hand an die Mütze.
Shiaraqa ließ sich zurückfallen und erklärte meinem Bruder leise: »Wenn sie einem ranghöheren Soldaten begegnen, legen sie immer die Hand an die Mütze. So drücken sie ihre Achtung aus. Außerdem wünschen sie so guten Morgen oder guten Abend, je nachdem, welche Tageszeit ist.«
Najib fragte flüsternd: »Sollen wir das auch machen?«
Shiaraqa lachte. »Nein. Das tun nur die Amerikaner. Captain Edmanton meint, dass es den meisten Soldaten gar nicht gefällt.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber in der Basis ist es Pflicht.«
Wir bogen um eine Ecke, überquerten eine Straße und kamen an einer Reihe staubiger Zelte vorbei. Da sah ich sie. »Najib«, flüsterte ich und zog meinen Bruder am Ärmel. Er hatte sie natürlich auch entdeckt. Sie war zu groß, um unbemerkt zu bleiben. Und zu schön.
Eine Moschee. Aber nicht irgendeine. Sie war mindestens doppelt so groß wie jede Lehmziegelmoschee in An Daral. Auf den Säulen vor dem Eingang glänzten rote, blaue, grüne und schwarze Kacheln. Die Glasfenster waren blau gerahmt, die kleinen Gucklöcher des hohen Minaretts blau umrandet und die Turmhauben mitden großen Lautsprechern waren ebenfalls blau. Wenn von dieser Moschee zum Gebet gerufen wurde, konnte das niemand überhören.
Sie leuchtete in der Sonne wie ein Zeichen Allahs. Der Tag, für den ich ein Leben lang gebetet hatte, war gekommen. Allah Akbar!
Schließlich erreichten wir ein großes,
Weitere Kostenlose Bücher