Inshallah - Worte im Sand - Roman
…«
»Wenn die Schwellung weg ist, wirst du wunderbar aussehen, sagen sie.« Najib sah sich nach Zuhörern um, dann flüsterte er: »Sie sagen, dass du sehr hübsch sein wirst.«
»Oh. Mein Mund.« Stiche führten von der Mitte meiner geschwollenen Oberlippe bis zur Nase hinauf, aber ich hatte eine Oberlippe. Meine Zähne ragten nicht mehr hervor. »Mein Mund. Najib!« Ich konnte das B zum ersten Mal aussprechen. Der Name meines Bruders klang fast richtig. Nun flossen die Tränen.
Mein Bruder drückte grinsend meinen Arm. Ich sah ihn an. Das Lächeln tat noch etwas weh. »Nie …mehr … Eselgesicht.« Ich schluchzte glücklich zwischen den Wörtern. Najib konnte nur nicken. »Lob und Dank sei Allah. Mein Mund.«
Für den Rest des Tages lag ich in einem hohen, weichen Bett und guckte amerikanische Filme. Wir sahen noch einmal den Spielzeugfilm, danach einen zweiten Teil. Irgendwann ließ meine Aufmerksamkeit nach. Dr. Akamura, Captain Mindy und Shiaraqa kamen mehrmals vorbei. Mein Bruder saß die ganze Zeit auf einem Polsterstuhl neben meinem Bett. Man erkundigte sich immer wieder nach meinem Befinden. Ich war selbst überrascht, wie gut es mir ging: eine so große Veränderung und so wenige Schmerzen. Wenn ich von dem dumpfen Pochen, dem ekelhaften Geruch und Gefühl der schleimigen, durchsichtigen Creme absah, die man auf meinen Mund gestrichen hatte, ging es mir gegen Abend hervorragend.
Die Amerikaner schienen das zu bezweifeln. Sie wollten ständig wissen, wie ich mich fühlte. Wildfremde Soldaten brachten mir Geschenke. Man füllte eine zweite Plastiktüte mit Süßigkeiten (für später, wenn es mir besser ging), Puppen (für mich oder meine Schwester), Spielzeugautos und kleinen Flugzeugen (für meine Brüder). Ich bedankte mich brav – aber warum verstanden sie nicht, wie nutzlos dieser Plunder im Vergleich zu dem unbezahlbaren Geschenk meines neuen Mundes war?
Schließlich legte sich Doktor Akamura eine Hand auf das Herz und verneigte sich. Shiaraqa dolmetschte für ihn. »Der Doktor sagt, dass die Operation erfolgreich war. Du wirst rasch genesen. Leider muss er jetzt nach Kabul fliegen. Er wünscht dir ein glückliches und erfülltes Leben.«
Ich hatte Najib noch nie so herzlich lächeln sehen. »Danke. Danke.« Er versuchte, so gut wie möglich Englisch zu sprechen. Dann reckte er einen Daumen in Richtung des Arztes. »Danke.«
Der Doktor gab Najib die Hand. Auf dem Weg zur Tür nickte er Captain Mindy zu. »Khudafiz«, sagte er, bevor er ging. Captain Mindy ließ uns durch Shiaraqa mitteilen, dass sie den Doktor zum Flugzeug begleiten würde.
Ich musste mich immer wieder im Spiegel ansehen. Je mehr die Schwellung zurückging, desto normaler sah ich aus. Ich holte tief Luft durch die Nase, die man bei der Operation ebenfalls gerichtet hatte. Wäre Zeynab doch hier! Sie wäre so glücklich. Ich konnte lächeln wie sie, genau wie sie! Ob ich meiner Schwester jetzt ähnlicher sah? War ich wenigstens ein bisschen hübsch? Nach dem Wunder dieser Operation schien auf einmal alles möglich zu sein. Alles.
Am nächsten Mittag hatte sich meine Aufregung ganz gelegt. Ich war hungrig und hatte keine Lust mehr auf das glibberige rote Zeug namens Wackelpeter. Es schmeckte nicht schlecht, aber ich wollte endlich wieder etwas Anständiges essen – Reis und ein warmes Stück Naan, am liebsten auch eine Orange. Meinem Mund ging es immer besser. Er tat nur noch weh, wenn ich gegen die Lippe drückte. Ich biss zur Probe auf meine Finger – zähes Fleisch wäre ein Problem, aber sonst konnte ich alles essen.
Schließlich kamen Captain Mindy und Shiaraqa. Ich war froh, als sie mir sagten, dass ich mich wieder anziehen dürfe. Shiaraqa übersetzte lächelnd: »Wir fliegenbald zurück, sagt sie. Aber vorher essen wir noch in der ›Chow Hall‹. Wenn du dich wohl genug fühlst, kannst du alles essen, was du willst. Die Auswahl ist riesig. Es ist wie ein Essensbasar und alles ist umsonst!«
Najib zog eine Augenbraue hoch, als er das hörte.
Wir folgten Captain Mindy und Shiaraqa wieder durch die Basis. Es herrschte der übliche Verkehr von bewaffneten Fahrzeugen und überall liefen Soldaten herum. Schließlich betraten wir nach Überquerung einer betriebsamen Straße ein Holzgebäude. Captain Mindy hob einen Zettel und führte uns an einer langen Schlange von Soldaten vorbei bis ganz nach vorn. »Keine Sorge«, ließ sie uns durch Shiaraqa sagen. »Es wird euch schmecken.«
Captain Mindy reichte jedem von uns
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