Inshallah - Worte im Sand - Roman
paar Pläne für die Nimruz-Klinik zeigen.« Baba-jan führte Najib auf den Hinterhof, um ein Gespräch unter Männern mit ihm zu führen.
Malehkah verengte die Augen, rümpfte die Nase und betrachtete meinen Mund. Das war der Blick, mit dem sie mich immer bedacht hatte. Doch ich bemerkte eine kleine Veränderung. Sie zog zwar eine Grimasse, aber ihre Lippen waren unmerklich nach oben gebogen. Es war kein Lächeln, aber auch kein Stirnrunzeln. Dann schüttelte sie den Kopf und ging ins Haus.
Ich lehnte mich auf dem stillen Vorderhof gegen die Mauer und ließ die warme Sonne in mein Gesicht scheinen.
Ich war zu Hause.
Und ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben vollständig.
Während der nächsten zwei Monate versank ich förmlich in Arbeit. In Afghanistan hatte die große Parlamentswahl stattgefunden. Baba war sehr aufgeregt gewesen. Er hatte sogar darauf gepocht, dass Malehkah wählte, weil er meinte, jeder müsse seine neuen Rechte wahrnehmen. Aber er hatte ihr auch nahegelegt, für jene Kandidaten zu stimmen, von denen er sich Maßnahmen erhoffte, die zu mehr Bauaufträgen und Schweißarbeiten führten.
Ich nahm die Wahl kaum wahr. Zeynab war weg und Malehkah ruhte sich oft aus. Sie war hochschwanger und wurde schnell müde. Also blieb alles an mir hängen. Ich kümmerte mich um die Jungen. Ich putzte und fegte Staub. Ich ging zum Basar. Ich kochte fast alle Mahlzeiten. Ich fütterte und melkte Torran. Ich mistete den Stall aus. Und jeden Morgen und jeden Abend bewässerte ich den Garten und jätete Unkraut.
Abends sank ich meist hundemüde und einsam auf meine Toshak. Wenn ich morgens erwachte, merkte ich, wie sehr ich meine Schwester vermisste. Ich hätte ihr so viel erzählen können! Zum Beispiel, wie herrlich es war, auf dem Basar keine Angst mehr davor haben zu müssen, dass jemand meinen Mund anstarrte. Oder dass die in ihrem Brautpreis enthaltenen Bauaufträge dafür sorgten, dass Baba glücklich, viel beschäftigt und erfolgreichwar. Dann dachte ich an die Arbeit, die mir an diesem Tag bevorstand. Und am nächsten Tag. Und am übernächsten.
Ich bat mehrmals darum, Zeynab besuchen zu dürfen, aber Baba meinte, ich sollte warten, bis sie sich an das neue Familienleben gewöhnt hatte. Malehkah verwies immer auf die vielen Arbeiten im Haus. Die kurzen Unterrichtsstunden bei Meena, die ich mir heimlich gönnte, waren die einzigen Pausen. Ich war immer wieder bei ihr gewesen, um ihr meine Schreibübungen zu zeigen und die Aussprache der Wörter zu üben. Inzwischen versuchte ich mich sogar an ganzen Sätzen.
Ich wischte mir den Schweiß von der Oberlippe, während ich im Lagerraum die Truhen abstaubte. In meiner Truhe lag das Notizbuch, das ich von Captain Mindy bekommen hatte. Ich schlug die Seite mit einem Gedicht auf, das Meena diktiert hatte, und schrieb die Verse noch einmal ab. Bögen, Punkte und Schnörkel flossen von links nach rechts über die Seite und verschmolzen zu Wörtern.
»Nie hätte Zulaikha dergleichen geglaubt
– aber sie war ihres Liebsten beraubt.
Ein geheimer Funke in ihrer Brust
Weckte Verlangen, Unrast und Lust.
Sie kämpfte gegen die Sehnsucht an,
Ohne zu wissen, woher sie kam.«
Ich betrachtete meine Schrift und musste lächeln. Indem ich das Gedicht abschrieb und gleichzeitig aufsagte, konnte ich die Verbindung zwischen dem Klang der Schriftzeichen und den von ihnen gebildeten Wörternherstellen. Zwischen den Wörtern und dem Sinn der Verse.
Nicht, dass ich einzelne Fortschritte bemerkt hätte, aber eines Tages wurde mir bewusst, dass ich etwas verstand, das ich bis dahin nicht verstanden hatte. War das Lernen?
»Lauf, Habib! Sonst holt dich der Djinn! Uhaaah!«, schrie Khalid draußen vor dem Lagerraum. Ich seufzte. Ich musste weiterputzen, denn es gab viel zu tun. Die Arbeit nahm kein Ende. Ich legte das Notizbuch wieder in die Truhe und ließ den Deckel zuknallen. Habib torkelte kreischend und lachend durch den Hauptraum, verfolgt von Khalid, der die Arme hoch über den Kopf gereckt hatte.
»Jungs! Bitte! Ich möchte mich ausruhen. Nur ganz kurz«, stöhnte die auf ihrer Toshak liegende Malehkah.
Habib rannte zur Haustür, aber Khalid schnitt ihm den Weg ab. »Ich bin der Djinn! Raaaah!« Habib schrie auf und lief im Bogen zur Hintertür, durch die sie hereingekommen waren. »Uhaaah!«, brüllte der hinterherrennende Khalid und schlug mit den Armen wie mit Flügeln.
Malehkah stöhnte und legte sich eine Toshak über den Kopf. »Zulaikha …«
Wann
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