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Inshallah - Worte im Sand - Roman

Inshallah - Worte im Sand - Roman

Titel: Inshallah - Worte im Sand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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meiner Oberlippe. »Als ich ihn fand, war er schon die halbe Mauer hinaufgeklettert und saß fest. Er hatte Angst. Er wäre fast gestützt, als ich zu ihm hinaufkletterte, und dann hätte uns die Polizei beinahe geschnappt.«
    Najib sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Du bist ganz nach oben geklettert?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Was hätte ich denn sonst tun sollen? Wenn Khalid abgestürzt wäre, hätte Malehkah mich in der Luft zerrissen.«
    Wir lachten beide über meinen kleinen, gemeinen Scherz. Dann fuhr Khalid weiter und wir ließen die Zitadelle hinter uns. »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte er. Er fuhr wieder vom Hügel und folgte den Mauern An Darals, bis das letzte Grundstück am Ostrand des Ortes hinter uns lag.
    »Wohin fahren wir?«, fragte ich.
    »Warte ab.« Der Toyota rumpelte über die Rillen und Huckel einer langen Serpentinenstraße. Schließlich erreichten wir ein kleines Plateau in den Bergen. Najib zog die Handbremse an und stellte den Motor aus.
    Unter uns erstreckten sich die Mauern und Häuser von An Daral. Und über allem erhoben sich die hohen Wälle der alten Zitadelle.
    »Wunderschön«, befand ich. »Es ist, als würde man fliegen.«
    »Als Junge war ich oft heimlich hier. Immer, wenn ich mich davonstehlen konnte.« Najib sprach langsam und leise, während er gedankenverloren durch die Windschutzscheibe sah. »Bevor ich arbeiten musste, meine ich. Jetzt schweiße ich ja nur noch.«
    Ich runzelte die Stirn und drehte mich zu meinem Bruder. »Macht dir das Schweißen keinen Spaß?«
    Najib holte tief Luft. »Ist das wichtig? Ich mache es seit dem zehnten Lebensjahr und ich werde es mein ganzes Leben tun. Najibullah, der Schweißer. Das ist mein Los.«
    Er klang sehr traurig. Ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. »Aber ihr verdient jetzt mehr Geld. Baba-jans Geschäfte laufen gut.«
    Er lächelte mich an. »Das ist wahr. Allah sei gelobt. Uns geht es sehr gut. Aber als ich mit dir in Kandahar war, habe ich all die Soldaten gesehen. Es waren nicht nur Weiße, sondern auch Amerikaner aus China und Afrika. Von überall. Und sie waren nicht nur Kämpfer. Es gab auch Sanitäter. Mechaniker. Computerspezialisten.«
    »Möchtest du zur Armee?«
    Er lachte leise. »Oh nein! Nie im Leben. Aber ich denke ab und zu darüber nach, was aus mir geworden wäre, wenn Baba mich nicht zu einem Schweißer gemacht hätte.«
    »Ich frage mich auch manchmal, was aus mir werden soll«, sagte ich.
    Er faltete die Hände im Schoß und wartete darauf, dass ich fortfuhr. Da erzählte ich ihm alles. Ich erzählte ihm von Meena und den Gedichten. Ich erzählte ihm, dass ich Lesen und Schreiben lernte. Und obwohl mich gegen Ende der Mut verließ, erzählte ich ihm auch von dem Angebot, in Herat zur Schule zu gehen.
    »Das ist ja großartig! Hast du Baba gefragt?«
    »Wie denn?«, erwiderte ich. »Es ist sowieso eine verrückte Idee. Er wird bestimmt Nein sagen.«
    »Hast du nicht gesagt, der Unterricht sei kostenlos?«
    Ich nickte.
    Najib klatschte in die Hände. »Baba wird es dir erlauben. Das weiß ich genau. Wenn sich das Projekt in Nimruz auszahlt, wird er so glücklich sein, dass er allem zustimmt.«
    »Meinst du wirklich? Mir kommt es vor wie ein unerfüllbarer Traum.«
    »Das haben die Leute auch gesagt, als es um die Operation deines Mundes ging. Ich hätte das gesagt, wenn mir jemand erzählt hätte, dass ich in einem Hubschrauber nach Kandahar fliegen würde. Baba hat recht: Die Zeiten sind gut. Es ist ein neues Afghanistan!«
    »Ach, ich weiß nicht«, zögerte ich, konnte ein Lächeln aber nicht unterdrücken.
    »Ich bin mir ganz sicher. Wenn Baba heimgekehrt ist, reden wir mit ihm darüber. Wenn er deiner Operation zugestimmt hat, wird er dich auch in Herat zur Schule gehen lassen.«
    »Bale, Najib!« Ich quietschte regelrecht, als ich seinen Arm drückte.
    Mein Bruder ließ den Motor an und wendete das Auto. »Und wir werden auch dafür sorgen, dass Zeynab uns zu Hause besucht.«
    Er stellte die Musik auf volle Lautstärke und wir sangen in ausgedachtem Englisch mit. Es war einer der glücklichsten Nachmittage, an die ich mich erinnern konnte.
    Vor unserem Grundstück hupte Najib und wir warteten darauf, dass Malehkah oder Khalid die große Doppeltür öffneten. Als sich nichts tat, drückte Najib ein zweites Mal auf die Hupe, dieses Mal sehr lange.
    Nach dem dritten Hupen schwangen die bunten Türenauf und Najib fuhr das Auto auf den Hof. Er stellte den Motor ab und wir

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