Inshallah - Worte im Sand - Roman
Gesicht aus.
»Bale, Baba. Sie …«
»Wie geht es ihr? Was hat sie erzählt?«
»Genau darüber möchte ich mir dir reden, Baba. Ich will sie besuchen, weil ich mir Sorgen mache.« Ich erinnerte mich an die Art, wie sie Abschied genommen hatte. Sie hatte so niedergeschlagen geklungen. So endgültig. »Sie war immer so schön und jetzt sieht sie … Sie sieht erschöpft aus, Baba. Ich glaube, sie schläft nicht viel, und …«
Baba lachte leise. »Ach, Zulaikha. Eines Tages wirst du das verstehen. Sie ist frisch verheiratet. Verständlich, dass sie da nicht viel Schlaf bekommt. Ist ja klar.«
»Aber Baba …«
»Genug jetzt! Ich habe viel zu tun und keine Zeit, um mit meiner Tochter zu diskutieren.« Er drückte meine Schulter. »Wenn ich von der Geschäftsreise zurück bin, werde ich einen Besuch arrangieren.«
Meine Wangen glühten. »Bale, Baba«, sagte ich.
Draußen vor unserem Hof ertönte eine Hupe.
»Das ist Hajji Abdullah!« Er rollte die Papiere auf und verschnürte sie mit einem Band. »Najibullah! Hilf mir, alles zum Auto zu tragen.« Baba rannte mit seinen Unterlagen aus dem Haus und Najib nahm eine Kiste mit Werkzeug.
»Steh nicht faul herum!«, blaffte Malehkah. Sie gab mir eine aufgerollte Toshak und einen Beutel mit Essen. »Bring das zur Hoftür, damit dein Vater und dein Bruder nicht so weit laufen müssen.«
»Bale, Mada.« Hoffentlich war Najib während Babas Abwesenheit oft zu Hause. Ich klemmte mir die Sachen unter die Arme und trug sie zur Hoftür, wo Najib sie mir abnahm und unserem Vater reichte.
Als er zurückkam und die Tür verriegelte, hörte ich, wie das Auto losfuhr. Nun würde ich lange auf eine Begegnung mit Zeynab warten müssen.
»Zulaikha!«, rief Malehkah von der Veranda. »Kauf Reis auf dem Basar. Und danach musst du Torran melken.«
Ich sah Najib an und ließ seufzend die Schultern hängen. »Bale, Mada.«
Mein Bruder runzelte die Stirn. Er sah erst mich an, dann Malehkah. »Ich fahre Zulaikha zum Basar.« Bei meinem Lächeln musste er grinsen und reckte dann den Daumen, wie er es in Kandahar vor dem Arzt getan hatte. »Wir kümmern uns um Torran, wenn wir wieder da sind. Aber du kannst ja auch Khalid zum Melken schicken.«
Malehkah trat einen Schritt vor. »Zulaikha!«
Wir warteten Malehkahs Wutausbruch nicht ab, sondern brausten davon.
Nach einer Weile hielt Najib und kramte unter seinen Sitz. Ich fühlte mich so glücklich und frei, dass ich in die Hände klatschte. Najib lächelte mich an. Schließlich zog er eine Kassette hervor und winkte mir damit. Dann legte er sie ein und drückte meinen Arm. Es ertönte eine Musik, wie ich sie noch nie gehört hatte. Nicht die üblichen Trommeln, Streichinstrumente und schrillen Stimmen indischer Frauen. Stattdessen sangen Männer in einer fremden Sprache.
»Na? Wie findest du das?«, fragte Najib. »Ich habemich in Kandahar mit einem Soldaten unterhalten. Man hat ihm diese Kassette aus Amerika geschickt. Er hat gesagt, es sei Rock and Roll.«
Ich zuckte mit den Schultern und grinste. Es klang toll. Ich hatte sonst nie die Muße zum Musikhören.
Wir hielten, um Reis, Orangenlimonade und Kabobs, Spieße aus Rindfleisch, zu kaufen. Dann kurvten wir herum und lauschten der Musik, während Najib lautstark und in grauenhaftem Englisch mitsang.
Nach ein paar Minuten verstummte er. »Ich hoffe, du genießt deinen freien Tag«, sagte er und bog auf die Straße ab, die um den Vorhof der Zitadelle führte.
»Warum nimmst du mich mit?«, fragte ich.
Najib riss mit den Zähnen einen Bissen Rindfleisch vom Stock. Er antwortete mit weit offenem Mund, weil er sich die Zunge nicht am heißen Fleisch verbrennen wollte. »Ich habe den Ausflug nach Kandahar sehr genossen, denn ich musste ein paar Tage nicht schweißen. Und weil ich ihn dir verdanke, wollte ich mich revanchieren.«
Ich lächelte. Ich hatte nicht geahnt, dass mein großer Bruder so nett sein konnte.
»Dein Lächeln ist schön«, sagte Najib. »Und du verhüllst dein Gesicht nicht mehr. Wie gut! Allah meint es gut mit dir.«
»Ja«, antwortete ich. »Das stimmt.«
Auf dieser Fahrt redete Najib mehr als während der gesamten letzten Jahre. Die Straße schlängelte sich durch ein schmales Flussbett und führte dann nach rechts bis zu einer Stelle, die einen Blick auf einen der hohen Türme der Zitadelle bot. »Khalid ist gleich nach dem ersten Eintreffen der Amerikaner in An Daral abgehauen.«Ich zeigte auf die Festungsmauer und zupfte mit der anderen Hand an
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