Inside Aldi & Co.
oft abends nach der Arbeit nicht mehr ansprechbar, geschweige denn fähig, am Familienleben teilzuhaben. Unsere drei Kinder litten ebenfalls unter der Situation.
Anfang August wagte mein Mann dann aus lauter Verzweiflung und Angst um seinen Job ein Gespräch bei seinem Regionalleiter. Der fand alles aber genau richtig so. Wo denn hier ein Problem sei, das sei doch normal, sagte er.
Die Schikanen des Chefs nahmen daraufhin sogar noch zu. Ständig kündigte er Filialbesuche an jenen Tagen an, an denen mein Mann seinen freien Tag eingetragen hatte, ständig kamen abendliche Kontrollanrufe, wo mein Mann denn sei, um ihm dann nachzufahren und zu kontrollieren, ob er denn wirklich in der Filiale war, die er genannt hatte. Er bekam immer wieder zu hören, es solle doch endlich die Firma verlassen.
An einem Freitagmittag, dem umsatzstärksten Tag in der Woche, eskalierte die Situation. Der Vorgesetzte meines Mannes kontrollierte wieder und rief ihn an. Zwei seiner Läden seien «unter aller Sau», er solle bis nachts arbeiten und sie auf den Stand der Note 2 bringen, was fast Neueröffnung ist, und Rückmeldung geben, ansonsten könne er sich gleich auf seine Kündigung einstellen.
Gegen 14 Uhr an diesem Tag bekam ich einen Anruf von meinem Mann, den ich am Telefon kaum verstehen konnte. Er konnte sich nicht mehr beruhigen und war nervlich nach den monatelangen Mobbingattacken am Ende. In meiner eigenen schlechten Verfassung, mir ging das auch an die Nerven, riet ich ihm, sofort zum Arzt zu fahren. Mein Mann geht nur im äußersten Notfall zum Arzt, er war in sieben Jahren bei Netto ganze zwei Tage krank. Aber zu diesem Zeitpunkt war er so fertig, dass er nicht mehr anders konnte. Der Arzt attestierte ihm sofort ein massives Burnout-Syndrom und verschrieb ihm Antidepressiva. Er war völlig am Boden zerstört.
Im Verlauf des Nachmittags kam der Kontrollanruf seines Vorgesetzten, ob der Laden nun auf dem Stand sei. Als mein Mann ihm mitteilte, dass er für die nächsten drei Wochen krankgeschrieben sei, entgegnete sein Chef nur, dann wisse er ja Bescheid.
In der zweiten Woche der Krankschreibung kam es zum Äußersten. Hier bekam ich seinen Vorgesetzten zum ersten Mal zu sehen. Mein Mann war gerade auf dem Weg, unsere Jüngste mittags von der Schule abzuholen, als ich in der Küche stand und zufällig zum Fenster hinausblickte. Ich sah zwei dicke Audis zu unserem Haus fahren, und schon wurde mir schlecht. Das eine Auto hielt auf dem gegenüberliegenden Parkplatz, das andere stand dahinter, beide nur wenige Meter von unserem Haus entfernt, mit Sicht zur Haustüre. Aus dem Auto direkt vor der Tür stieg sein Vorgesetzter mit einem DIN -A 4 -Umschlag in der Hand. In Sekunden rief ich meinen Mann mit dem Handy an, um ihm zu sagen, was hier passierte, und rannte gleichzeitig zur Haustür. Sein Chef saß schon wieder im Auto und wollte gerade wegfahren. Ich hielt ihn aber auf, indem ich ihm vor lauter Wut und Angst fast vor das Auto rannte. Gleichzeitig sah mich der Regionalleiter aus der Türe kommen und flüchtete mit seinem Auto. Hatte dieser Mann nicht den Arsch in der Hose, mir gegenüberzutreten? Der direkte Vorgesetzte meines Mannes ließ das Seitenfenster herunter, und ich fragte: ‹Haben Sie jetzt meinem Mann gerade die Kündigung eingeworfen?› Seine Antwort war nur: ‹Ja.›
Unter Tränen der Verzweiflung fragte ich ihn immer wieder nach dem ‹Warum›, aber er gab mir keine Antwort. Als mein Mann, der das Ganze am Telefon mitgehört hatte, zurückkam, gab sein Chef schnell Gas und flüchtete.
Die Kündigung war fristlos, ohne Angabe von Gründen. Wir hatten ein schlechtes Gefühl, was sich eine Woche später bestätigen sollte. Ein ehemaliger Marktleiter stand vor unserer Haustüre. Wir waren verwundert, da mein Mann nie privaten Kontakt mit dem jungen Mann von gerade einmal 21 Jahren gehabt hatte. Aber er beharrte darauf, mit meinem Mann reden zu müssen, und wir baten ihn herein. Er erklärte, dass kürzlich der Vorgesetzte meines Mannes zu ihm in den Laden gekommen sei und mit ihm unter vier Augen habe reden wollen. Er habe ihn gefragt, welche negativen Eigenschaften mein Mann habe. Der Vorgesetzte wurde immer aggressiver, und schlussendlich drängte er den Marktleiter, ein Schreiben nach Diktat zu verfassen und anschließend zu unterzeichnen. Darin waren angebliche Verfehlungen aufgelistet, unter anderem, dass mein Mann seine Marktleiter regelmäßig angewiesen hätte, die Inventuren zu
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