Inside Aldi & Co.
Schreiben kurz nach Verteilung an die Märkte abfotografiert zugespielt: um 5 .14 Uhr unter der Überschrift «Ein Witz» – von einem Azubi, der an diesem Tag schon eine halbe Stunde gearbeitet hatte.
Aber nicht nur Filialmitarbeitern und Lehrlingen geht es bei Netto offenbar schlecht. Auch höher gestellte Mitarbeiter sind vor Unbill nicht gefeit, wenn sie zu teuer oder zu unbequem werden. In einem besonders drastischen Fall schreibt Nicole M. über die Erfahrungen ihrer Familie mit dem Discounter, der sich neuerdings das Motto «einfach besser» zugelegt hat:
«Ich bin die Ehefrau eines ehemaligen Managers bei Netto Markendiscount. Mein Mann und ich haben drei Kinder im Alter von 8 , 11 und 13 Jahren. Es wundert Sie vielleicht, dass ich das alles aufschreibe, aber mein Mann ist dazu gar nicht mehr in der Lage. Er kann kaum eine Minute darüber reden, ohne die Fassung zu verlieren. Sobald die Sprache auf dieses Geschehen kommt, merke ich sofort, wie tief ihn das alles verletzt hat. Die Geschichte:
Nach ein paar Jahren als Filialleiter bei Lidl stieg mein Mann Anfang 2004 bei Netto auf derselben Position ein. Er bekam eine sehr schlechte Filiale zugewiesen mit roten Zahlen, die er dann innerhalb kürzester Zeit aus dem Dreck zog und beste Zahlen hervorbrachte. Das führte nach knapp einem Jahr zu seiner Beförderung zum Verkaufsleiter-Assistenten. Hier bewährte sich mein Mann ebenfalls und wurde erneut befördert zum Verkaufsleiter.
Seit 2006 war mein Mann also bei Netto als Verkaufsleiter beschäftigt. Er bekam erst einen Bezirk 300 Kilometer entfernt von unserem Wohnort. Dort hatte er mit zwei neuen, nicht ausgebildeten Assistenten dreizehn Filialen zu betreuen. Er arbeitete sechs Tage die Woche, von morgens sieben bis abends in den Filialen, danach bis Mitternacht im Hotelzimmer am Laptop, um sich alles selbst beizubringen und den Bezirk auf dem Stand zu halten. Trotz dieses Arbeitspensums war nichts gut genug. Er musste zum Beispiel in einer Filiale drei Mal das Getränkeregal umbauen, und ständig übte der Gebietsverkaufsleiter Druck aus.
Nach ein paar Monaten waren es im Schnitt sieben Filialen und immer noch viel Arbeit, aber dies alles machte meinem Mann nichts aus, da er in seinem Beruf aufging. Der Job machte ihm Spaß. Die Filialleiter lobten ihn, da er human mit ihnen umging. Er hatte freie Hand, und der Druck von oben war nicht so groß. Sein Vorgesetzter sorgte dafür, dass er einen Bezirk in Wohnortnähe bekam, und nun passte einfach alles.
Mein Mann machte aus dem erst schlechten Bezirk einen mit den besten Zahlen. Es lief perfekt. Er verstand es, sein Personal zu führen, und war dafür bekannt. Außerdem wurde immer mein Mann damit beauftragt, neue Verkaufsleiter einzuarbeiten, was er auch gerne tat.
Doch irgendwann kam die Übernahme von Plus. Damit begannen die schlimmen Zeiten. Netto hatte sich mit der Übernahme der gesamten Plus-Filialen übernommen und musste anfangen zu sparen. Der Führungsstil wurde schärfer. Von den etwa 25 Plus-Bezirksleitern waren eineinhalb Jahre später noch zwei übrig. Die Chefetage meines Mannes wurde nach und nach ausgetauscht und durch Manager aus anderen Niederlassungen oder von anderen Discountern ersetzt. Diese Prozedur setzte sich Stufe um Stufe nach unten fort, bis im Mai 2011 der direkte Vorgesetzte meines Mannes plötzlich weg war. Keiner wusste warum.
Neue Chefs kamen.
Plötzlich waren alle Entscheidungen meines Mannes in seinem Bezirk falsch, egal was er tat, obwohl dieselben Entscheidungen einige Zeit vorher immer für richtig erachtet und auch unterstützt worden waren. Sein Chef konnte sich nicht mehr an Absprachen erinnern, und aus dem jahrelangen «Du» wurde wieder das «Sie». Alles wurde bemängelt. Das zermürbte meinen Mann. An vier von fünf Arbeitstagen war sein Chef im Bezirk, egal, ob mein Mann arbeitete oder frei hatte. Ein Etikett nicht genau in der Mitte? Kritikgespräch. Ein fauler Apfel im Verkauf? Kritikgespräch. Ein Fleck auf dem Boden? Kritikgespräch. Ein Fehlartikel, egal ob verschuldet oder nicht? Kritikgespräch.
Aber das Mobbing begann erst. Es hieß, mein Mann solle gefälligst sechs Tage die Woche arbeiten, obwohl im Arbeitsvertrag fünf Tage und ein freier Tag stehen. Er solle sich endlich um die Filialen kümmern. Außerdem solle er sich doch lieber schon einmal nach einem neuen Job umsehen. Ab diesem Zeitpunkt ging es wirklich an die Substanz meines Mannes. Er baute nervlich immer mehr ab und war
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