Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Zerstörung in so kurzer Zeit inzwischen langweilte. Er hatte es satt, dass alle erwarteten, von Topiary, Sabu und Kayla angeführt zu werden.
Auch von seinem Chef hatte Topiary genug gehabt und seinen Teilzeitjob in einer Reparaturwerkstatt für Fahrräder und Autos aufgegeben. Er hatte Sozialhilfe beantragt und lebte jetzt nur noch davon. Er wollte mehr aus dem Haus und wieder zur Schule gehen. Er spielte mit dem Gedanken, sich für einen Kurs am örtlichen College in Lerwick anzumelden, der ihn auf ein Psychologie-Studium vorbereitete. In der Zwischenzeit hatte die staatliche Wohnungsvermittlung ihm eine Wohnung in England angeboten. In wenigen Monaten wollte er die abgelegenen Shetlandinseln verlassen, einen neuen Job finden und vielleicht am College studieren.
Topiary war nicht der Einzige, der einen Schlussstrich ziehen wollte. Sabu hatte ihm nach der Backtrace-Affäre bereits gesagt, er wolle abtauchen, um nicht noch mehr ins Visier der Polizei zu geraten. Sogar Tflow hatte sich aus dem AnonOps-Netzwerk zurückgezogen. Nur die kleine Clique, die sich über Anonymous gefunden hatte, wollte Topiary nicht zurücklassen. Er hatte nicht nur die Gesellschaft der anderen genossen, sondern auch von ihnen gelernt. Kayla hatte ihm beigebracht, wie er sich online verstecken konnte, und Sabu hatte ihm gezeigt, was mit der Welt falschlief – von den Gerüchten darüber, dass Facebook für die CIA spioniere, bis zu den miesen Praktiken sogenannter White-Hat-Sicherheitsberater wie Barr. Der Druck durch Backtrace und andere Gegner hatte sie nur enger zusammengeschweißt und sie immer mehr vom Rest von Anonymous isoliert.
Die Gruppe bestand jetzt aus Topiary, Sabu, Kayla, Tflow, AVunit und gelegentlich dem Hacktivisten Q – die absolut Top-Elite von Anons. Bei AnonOps hatten sich die Besten von Anonymous getroffen; #InternetFeds war noch elitärer gewesen und #HQ noch einmal eine Auslese daraus. Dies war die Spitze der Elite, dachte Topiary. Sabu hatte einmal von den Anonymous-Unterstützern in den bekanntesten IRC-Kanälen als die »äußeren Anons« gesprochen, und diese Worte gingen Topiary nun nicht mehr aus dem Kopf.
Die neue ständige Basis der kleinen Gruppe war ein kleines IRC-Netzwerk auf Sabus eigenem Server. Sie gingen kaum noch in den AnonOps-IRC, in dem es inzwischen von reizbaren Operatoren und mutmaßlichen Undercover-Agenten nur so wimmelte. Außerdem waren sie eine eingeschworene Truppe. Bei den Anons waren für den Erfolg einer größeren Aktion die Beziehungen der Beteiligten untereinander oft entscheidender als die Umstände, die sie zusammengeführt hatten. Es machte dabei keinen Unterschied, wie beliebt oder wie angreifbar das Ziel war. Wenn eine Gruppe gut zusammenarbeitete, war die Chance größer, dass ein Angriff gegen ein Ziel außerhalb von Anonymous erfolgreich war. Wenn sie sich stritten, griffen sie sich stattdessen eher gegenseitig an. Dies konnte sich in Wortgefechten ausdrücken oder dazu führen, dass man sich gegenseitig doxte oder sogar versuchte, das Netzwerk des anderen durch einen DDoS-Angriff lahmzulegen.
Ein beliebter Streitpunkt bei Anonymous war der Status in einem IRC-Chatraum. Die Organisation in einem Netzwerk ähnelt sehr der Organisation im Hauptgebäude einer Firma. Manche Räume, wie der Sitzungsraum des Aufsichtsrates, waren speziell für wichtige Besprechungen der Geschäftsleitung ausgewiesen. Aber genauso gut konnten zufällige Äußerungen auf der Toilette oder in der Stammkneipe wichtige, sogar richtungweisende Folgen haben. Im IRC war es ähnlich, nur dass sich hier das gesamte Gebäude konstant veränderte. In einer Sekunde konnte man einen Raum einrichten oder löschen. Man konnte bestimmen, wer und wie viele Leute hineinkamen und welchen Redestatus sie jeweils bekamen. Es gab nie einen einzelnen Kanal, in dem alles Wichtige besprochen wurde, und wenn es ihn gegeben hätte, dann hätte er nicht lange bestanden. Anons wechselten ständig das Netzwerk, um Informationslecks wie das von Laurelai zu verhindern, und insbesondere die Hacker trafen sich aus Angst vor Spitzeln nie für längere Zeit auf denselben Servern, in denselben Netzwerken oder Kanälen.
»Manchmal macht mich die Anzahl der Kanäle wahnsinnig«, sagte ein Mitglied des #HQ-Hackerteams, AVunit. Die Hacker hielten ihre Räume meist aus Sicherheitsgründen geheim, und manchmal gab es Hunderte solcher Räume bei AnonOps. Andere Anons bekamen dadurch das Gefühl, es gebe eine Hierarchie und die Fäden
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