Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
bei Aktionen würden hinter geschlossenen Türen gezogen. (Was nicht ganz falsch war.) Den Zugang zu einem Raum auf »nur mit Einladung« (+i) zu beschränken war, als wedele man mit einem roten Tuch vor einem Stier herum. »Das bringt die Leute auf die seltsamsten Ideen darüber, was dort wohl vor sich geht«, sagte AVunit. Und #HQ war seinem Namen zum Trotz kein Hauptquartier für Anonymous als Ganzes. Jemand hatte den Namen ganz einfach aus einer Laune heraus gewählt.
Einen Kanal zu erstellen war wie Kaffeekochen für ein ganzes Team: Man wechselte sich dabei ab. Es gab verschiedene Arten, in einen geheimen Kanal hineinzukommen. Aaron Barr hatte die Idee gehabt, das LOIC-Programm mit einem Virus zu infizieren. Über das aktivierte Virus verschaffte er sich dann mit einem neuen Nickname Zugang zu den privaten Hackerkanälen. Man konnte auch in mehreren Kanälen gleichzeitig sein. Mitte März bewegte sich Topiary selbst in dreiundzwanzig verschiedenen Kanälen, darunter #Command, #OpMetal Gear, #OpNewBlood (wo neue Anons trainiert wurden) und #StarFleetHQ, dem Kanal für das riesige Botnet des AnonOps-Operators Ryan. Tflow war in über fünfzig Kanälen unterwegs. Oft gab jemand vor, ein anderer zu sein, was aber selten funktionierte, denn Nicknames wurden mit einem Passwort registriert.
Es gab ein paar Symbole (~, &, @, % und +), durch die der Status und die Macht jedes Einzelnen in jedem Kanal angezeigt wurde. Jedes Symbol stand für eine der fünf Statusebenen: Kanalbesitzer, SuperOp, Admin, HalbOp und Voice. Diese unscheinbaren Zeichen waren für manche im IRC von überragender Bedeutung, denn sie zeigten an, was man im Chat tun konnte und was nicht. Als Op (% oder höher) konnte man die Nutzer, die gar kein Symbol hatten, stummschalten, indem man +m eingab. Mit % konnte man jeden mit einem niedrigeren Status aus dem Raum werfen. Mit @ konnte man das Thema (topic) eines Raumes ändern und Nutzer sperren, mit & war sogar eine permanente Sperrung möglich. Dadurch sollte verhindert werden, dass die IRC-Kanäle mit Spam überschwemmt wurden. Leider stieg vielen die Macht zu Kopf, und bei Meinungsverschiedenheiten warfen manche Operatoren Leute, die sie nicht mochten, einfach aus dem Chat. Durch Drohungen mit einer permanenten Sperrung brachten sie manche Operationen ganz zum Erliegen.
No, wie sich die Operatorin nannte, die neuen Anons erzählt hatte, der Einsatz der LOIC sei völlig legal, war bekannt dafür, dass sie Nutzer, die zu viel spammten, regelmäßig aus dem #lounge-Kanal warf. Dabei war nicht ganz klar, ob sie dadurch nur für Ruhe und Ordnung sorgen wollte oder ob es ihr einfach Spaß machte. Man musste keinen eigenen Server haben oder Fachkenntnisse mitbringen, um ein Operator im Anonymous-IRC zu werden. Es ging das Gerücht um, No habe ihren Status erreicht, indem sie mit männlichen Operatoren geflirtet hatte.
Viele Anons hassten oder fürchteten die IRC-Operatoren – sie waren wie Chefs, die es nicht verdient hatten, Chef zu sein. Und die Operatoren konnten die Polizei davon überzeugen, dass sie nicht zu Anonymous gehörten. Im Februar stand die Polizei um 6 Uhr morgens vor Nos Haus in Las Vegas. Mercedes Renee Haefer war damals neunzehn. Sie öffnete im Schlafanzug die Tür und stand Polizisten in schusssicheren Westen gegenüber, die Gewehre im Anschlag. Sie durchsuchten ihr Haus und nahmen zwei Computer (einer davon ein Mac), ein iPhone und einen Router mit. Die Aktion war Teil einer Reihe von Durchsuchungen des FBI, um diejenigen aufzuspüren, die hinter der Operation Payback und dem Angriff auf PayPal steckten. Die Polizisten fanden bei der Durchsuchung einen Flyer mit revolutionären Motiven, den Haefers Schwester als kleinen Scherz angefertigt hatte, und sie fragten allen Ernstes, ob das Flugblatt etwas mit einer geplanten Operation von Anonymous zu tun habe. Haefer lachte und sagte beinahe ja.
Auch andere Anons waren verhaftet worden, überwiegend Männer Mitte zwanzig. Am 27. Januar, etwa eine Woche vor dem Angrif auf HBGary, verhaftete die britische Polizei fünf Männer im Zusammenhang mit den Angriffen gegen MasterCard, Visa und PayPal im Rahmen von Operation Payback. Zwei von ihnen waren mutmaßliche Operatoren bei AnonOps: Christopher »Nerdo« Weatherhead, ein dicklicher zwanzigjähriger Student aus Northampton in England, und »Fennic«, ein dürrer Siebzehnjähriger mit langem Haar aus Süd-London, dessen richtiger Name aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlicht werden
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