Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Ihnen sprechen möchte«, sagte die Person und leitete ihn weiter auf einen neuen IRC-Server, auf dem man auf neutralem Boden eine private Unterhaltung führen konnte. Das Netzwerk hieß irc.shakebaby.net und der Kanal #wikilulz. Topiary war sofort misstrauisch und glaubte, die Kontaktperson versuche, ihn zu trollen. Als er endlich mit dem WikiLeaks-Mitarbeiter namens q sprach, der unter dem Nickname Dancing_Balls in diesem Kanal eingeloggt war, bat er, jemand solle etwas vom WikiLeaks-Twitter-Account aus posten. Assange, der wahrscheinlich als Einziger Zugang dazu hatte, tat es, schrieb irgendetwas über eBay und löschte die Nachricht sofort wieder. Topiary tat dasselbe vom LulzSec-Twitterfeed aus. Er brauchte aber noch mehr Sicherheit, denn das WikiLeaks-Feed hätte ja gehackt sein können. q meinte, damit könne er dienen. Innerhalb von fünf Minuten setzte er einen Link zu YouTube in den IRC-Chat und bat darum, sich das kurz anzusehen.
Topiary öffnete den Link und sah die Videoaufnahme eines Laptopbildschirms, auf dem sich der Text des IRC-Chats, den sie gerade führten, in Echtzeit nach oben bewegte. Die Kamera schwenkte dann nach oben auf einen weißhaarigen Julian Assange, der direkt gegenüber saß, auf einen weißen Laptop starrte und das Kinn nachdenklich in die Hand stützte. Er trug ein strahlend weißes Hemd, und durch ein von prächtigen Gardinen eingerahmtes Fenster fluteten Sonnenstrahlen herein. q löschte wenige Augenblicke später das zweiundzwanzigsekündige Video.
Zusammen mit Topiary und q befand sich auch Sabu, dem höchstwahrscheinlich FBI-Agenten neugierig über die Schulter schauten, auf dem Kanal. »Sag Assange, dass ich ›Hallo‹ gesagt habe«, meinte Sabu zu q. »Er sagt ebenfalls ›Hi‹«, antwortete q. Zu Anfang war Topiary nervös. Das war immerhin Julian Assange, der Gründer von WikiLeaks persönlich, der da Kontakt zu seinem Team aufnahm. Er konnte sich allerdings nicht vorstellen, warum der mit ihnen reden wollte. Dann begriff er, was q und Assange sagten. Sie lobten die Arbeit von LulzSec und fügten an, sie hätten sehr über den DDoS-Angriff gegen die CIA lachen müssen. Bei all den Bauchpinseleien kam es Topiary beinahe so vor, als seien die anderen nervös. Für einen Augenblick erschien LulzSec sehr viel größer, als Topiary für möglich gehalten hatte.
Inzwischen hatten noch andere aus dem engsten Kreis mitbekommen, was sich abspielte, und waren ebenfalls in den Chatroom gekommen. Sabu hatte die Ereignisse kurz für sie zusammengefasst und meinte, das könne bedeuten, dass man größere Ziele anvisieren würde. »Meine Crew scheint in der Lage zu sein, die üblichen Sites von Regierungsstellen außer Kraft zu setzen«, schrieb er Assange und q. »Aber da das Video wieder entfernt wurde, sind manche jetzt skeptisch.« »Ja, ich habe das Video entfernt, weil es nur für euch bestimmt war, aber ich kann ein neues aufnehmen, wenn ihr wollt :)«, schrieb q. »Falls wir einen zusätzlichen Vertrauensbeweis brauchen (hauptsächlich meine Crew), dann ok«, schrieb Sabu. »Für den Augenblick scheint’s aber zu genügen.«
Dann erklärte q, warum er und Assange auf LulzSec zugegangen waren: sie brauchten Hilfe beim Infiltrieren von mehreren isländischen Regierungs- und Firmenwebsites. Für die Vergeltungsaktion gab es gleich mehrere Gründe. Erst kürzlich war ein junger Mitarbeiter von WikiLeaks nach Island gereist und dort festgenommen worden. Außerdem hatte sich WikiLeaks um Zugang zu einem Datencenter in einem unterirdischen Bunker beworben, die Regierung hatte ihnen den Raum aber verweigert und sich stattdessen für einen Bewerber aus der freien Wirtschaft entschieden. Assange und q wollten nun offenbar, dass sich LulzSec den E-Mail-Verkehr der Regierungsstellen unter den Nagel riss und nach Beweisen für Korruption durchsiebte – zumindest aber prüfte, ob die Regierung WikiLeaks nicht auf unfaire Weise benachteiligte. So wie die beiden es darstellten, versuchte die isländische Regierung, die Freiheit von WikiLeaks bei der Verbreitung von Informationen zu unterdrücken. Wenn sie Beweise für ein derartiges Vorgehen zutage förderten, dann könne das helfen, in Island und anderswo einen wie auch immer gearteten Aufstand herbeizuführen.
Am folgenden Tag wollten q und Assange noch einmal mit LulzSec sprechen. Wahrscheinlich spürten sie, dass Topiary noch immer misstrauisch war, und q sorgte dafür, dass noch ein Video hochgeladen wurde. Wieder war darauf sein
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