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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
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weigerte, sich ein YouTube-Video übers Telefon anzuhören, als es ihm jemand anbot. Im Internet wurden Fotos von Jakes Gesicht beim Verlassen des Gerichtsgebäudes herumgereicht.
    Auch die Anons sahen den echten Topiary zum ersten Mal und stellten ihn als Märtyrer dar. Als Propagandamaterial wurde sein Gesicht in Filmplakate von Matrix eingefügt. Sabu, Kayla und viele andere stellten den Schriftzug »Free Topiary« als ihre Profilbilder bei Twitter ein. Andere Hacker bei Anonymous, die noch nicht verhaftet waren, verfolgten Jakes Gerichtsverfahren und fragten sich, wie es ihm wohl ergehen würde. Bei Anonymous wurden nur sehr selten Telefonnummern ausgetauscht, und so wusste keiner von den Hunderten von Leuten, mit denen Topiary bei AnonOps gechattet hatte, wie er oder sie nach Topiarys Verhaftung Kontakt mit ihm aufnehmen konnte. Daher erwartete Jake bei seiner Ankunft im Haus seiner Mutter absolute Stille.
    Drei Monate nach seiner Anhörung vor Gericht hatten ein paar wenige Briefe den Weg zu ihm gefunden. Einige kamen von Journalisten, aber es waren auch ein oder zwei Fanbriefe darunter. Früher hatte Jake online täglich mit Hunderttausenden von Menschen kommuniziert. Jetzt öffnete er gelegentlich einen Brief, sprach fast nur mit engsten Familienangehörigen, sah fern, spielte Computerspiele und benutzte eine Schreibmaschine, um seine Gedanken auszudrücken.
    Dann ergab sich eine Gelegenheit für etwas Neues. Jake hatte ein paar Monate in seinem neuen, abgeschiedenen Leben verbracht, als ihm einzigartiges persönliches Treffen mit einem anderen Anon angeboten wurde. Es handelte sich um jemanden, den er nie zuvor persönlich getroffen, ja mit dem er noch nicht einmal zusammengearbeitet hatte: William.
    Wie für William führte auch Jake Davis’ Weg in die vorderen Linien des Phänomens Anonymous über 4chan. Die Website wirkte täuschend unauffällig, war unter durchschnittlichen Internetnutzern weitgehend unbekannt, wurde aber von Millionen regelmäßigen Besuchern geliebt. Ohne sie wäre Anonymous wohl nie zu Weltruhm gelangt. Die Hacker sorgten mit ihren Aktionen für die Schlagzeilen, aber die Wurzeln und der Lulz-Ethos von Anonymous waren untrennbar mit den Imageboards verbunden.
    Mit vierzehn Jahren hatte Jake bereits gelernt, wie man die Horden auf 4chan lenkte und sie auf anderen Websites bei Laune hielt. William war da anders. Er war 2012 einundzwanzig Jahre alt und hatte, seit er vierzehn war, die Welt von /b/, dem allseits beliebten Zufallsthread von 4chan, nur selten verlassen. Viele dort waren wie er: Oldfags, die sich für die wahren Anons hielten. Die Website hatte immer noch 22 Millionen eindeutige Besucher pro Monat, die zu fünfundsechzig Prozent männlich und zwischen achtzehn und fünfunddreißig Jahre alt waren und in Nordamerika oder Westeuropa lebten. Wie viele andere Webforen war auch 4chan ein Ort, an dem über eine Fülle von Themen diskutiert wurde, von derb bis anspruchsvoll, von Kameraobjektiven auf dem Fotografie-Board bis zu Autoren des 19. Jahrhunderts auf dem /lit/-Board. Aber Tausende Besucher zog es täglich ohne Umwege zu /b/, wo sie auf einen »epic thread« hofften, durch den 4chan Spuren in der realen Welt hinterließ, ob es nun darum ging, ein Leben zu ruinieren, in eine Website einzubrechen oder ein entführtes Mädchen zu finden.
    William verbrachte immer noch ganze Nächte auf 4chan, terrorisierte die Gegner seines geliebten /b/ und feilte an seinen Fähigkeiten als Hacker. Er war enttäuscht, als er die Nachricht von Topiarys Verhaftung hörte, denn der Typ von dem Westboro-Video hatte ihm gefallen. Doch es spornte ihn nur noch mehr an, selbst Hacker zu werden. William war in seinen Gefühlen immer extrem, und so dachte er, im Gefängnis würde er sich entweder zu Tode langweilen (was dann egal war, weil er auch zu Hause depressiv war), oder es wäre »ein Spaß«. Die Konsequenzen waren ihm in jedem Fall egal. »Mich erwischen sie nie, so viel ist sicher«, erklärte er.
    William wurde immer dreister bei seinen Online-Aktionen. Manchmal nahm er die Hilfe einer Gang von /b/ in Anspruch, um eine größere Anzahl von Menschen zu quälen. Zum Beispiel stieß William wenige Tage vor Weihnachten 2011 beim Stöbern in »meinem /b/«, wie er es nannte, auf einen Thread mit dem Titel: »Postet die Kontaktdaten von jemandem, den ihr hasst.« Solche Threads waren auf /b/ üblich, und oft bedeuteten sie eine Nacht voller Spaß für William. In einer Antwort hatte ein User

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