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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Parmy Olson
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von Anonymous manipuliert worden zu sein? »Überhaupt nicht«, antwortete William. Jake senkte für einen Moment den Blick, bevor er antwortete: »Nicht manipuliert, aber beeinflusst«, korrigierte er. »Wenn man zusammen mit vielen anderen im Mob-Modus ist. Es gibt diese ›Extrem-Mob‹-Version von einem selbst, wenn man nur noch als Einheit denkt und fühlt, wenn alles andere nicht mehr zählt und man unbedingt etwas kaputtmachen will.« Jetzt nickte William. »Ich habe zwar Nein gesagt, aber das mit dem Mob passt«, lenkte er ein.
    Das Thema psychische Gesundheit hatte für William eine große persönliche Bedeutung. Aber manchmal sah er auf /b/ einen Thread, in dem der Erstposter geschrieben hatte: »Ich bin echt deprimiert. Am liebsten würde ich mich umbringen.« Wenn die meisten Antworten ihm zum Selbstmord rieten, dann machte William einfach mit. Dann postete er ein Bild von einer Dose Zyanid und ermahnte den Erstposter, es auch ja richtig zu machen. »In Wirklichkeit denke ich gar nicht so. Ich will nicht, dass Menschen sterben, aber«, er zuckte mit den Schultern, »man schreibt und tut es einfach.«
    Natürlich hatten beide, William und Jake, selbst schon genügend andere Menschen manipuliert. William sah auf die jüngeren »Goombie«-User und Newfags auf 4chan herab, die von den revolutionären Symbolen von Anonymous aus V wie Vendetta angezogen wurden, und manchmal reizte er sie einfach nur aus Spaß. »Sie wollen glauben, dass die Welt gegen sie ist, um ihre Lebensangst damit zu rechtfertigen«, sagte er. Deswegen sei es auch geradezu einfach gewesen, genügend Teilnehmer für die Anonymous-Revolution zu finden. »Man erfindet einfach etwas [über die Regierung oder korrupte Firmen], und sie kaufen es einem ab.« Damit ein Aufruf, etwa auf /b/, mitreißend auf das Anon-Publikum wirkte, musste man nur ein paar linguistische Stilmittel einstreuen wie Alliterationen, Wiederholungen, ein paar Zitate und dramatisch klingende Wörter wie Ungerechtigkeit, Unterdrückung und geknechtet, um Firmen und Regierungen zu beschreiben, und Gerechtigkeit, Freiheit und Auflehnung im Zusammenhang mit Anonymous. »So kann man den Hass eines Fünfzehnjährigen oder von jemandem, der denkt wie ein Fünfzehnjähriger, auf jedes beliebige Ziel richten«, stellte William nüchtern fest.
    Ohne ein klares Ziel wurde Anonymous, wie manch andere moderne Bewegung, von den Kräften einer Internetgesellschaft auseinandergerissen, die von Usern erschaffen wurde und von der Beteiligung der Masse lebte. Bewegungen wie die Tea Party oder die Occupy-Bewegung hatten mit denselben Problemen zu kämpfen. Ihre Ziele waren oft nur ungenau formuliert, aber ihre Anhänger kämpften leidenschaftlich gegen konkurrierende Ideologien an. Anonymous war eine neue Bewegung und ein neues Mittel im Kampf gegen mutmaßliche Unterdrücker. Und sie konnte manipuliert werden.
    »Beispiele dafür, wie wir unterdrückt werden, sind schnell erfunden, und irgendein Idiot, irgendein Großmaul, das mit vierzehn oder fünfzehn Jahren sein politisches Erwachen erlebt und sich für unglaublich clever hält, wird es schlucken.« William schrie jetzt fast. Er versank für einen Moment in Selbstreflexion, als habe ihn die Schärfe seiner Ansichten selbst überrascht, dann lachte er leise. »Ich bin gerade mal fünf Jahre älter als diese Typen, und ich fühle mich wie ihr Vater.« Doch Jake nickte wieder zustimmend. Wenn man wusste, wie man mit den Anons reden musste, dann waren sie lenkbar. »Es ist so einfach«, sagte er.
    Auf dem Rückweg zum Bahnhof durch den schneidenden Wind tauschten Jake und William Geschichten über raffinierte Trolling-Aktionen aus. Dabei bemerkten sie kaum, dass ihre anfängliche Anspannung verschwunden war. Jake ging für William gerade einen seiner Lieblingsstreiche durch: Vor einigen Jahren hatten er und ein Freund einen Online-Feind mitten in der Nacht zu einer sexuellen Handlung vor seiner Webcam überredet. Sie hatten es aufgenommen und dem Jungen dann damit gedroht, das Video der örtlichen Polizei und an seiner Schule zu zeigen, wenn er nicht seine Mutter aufweckte, damit sie es ihr vorspielen konnten. Es war vier Uhr morgens, aber der Junge akzeptierte die Bedingung. Er weinte, während seine Mutter völlig entsetzt das Video ansah. Jake und sein Freund hatten gelacht. »Wir beschlossen, nicht zu hart zu ihm zu sein, und haben das Video wirklich nur seiner Mutter gezeigt«, sagte er mit lauter Stimme, damit William ihn trotz des

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