Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Insiderstreitigkeiten wieder. Es gab dramatische Kämpfe zwischen den Administratoren der IRC-Netzwerke und denen von Partyvan, zwischen den Betreibern der Anonymous-Foren und den Organisatoren des Protests. Auch unter den ursprünglichen Anti-Scientology-Aktivisten, die es schon lange gegeben hatte, bevor sie von der Anonymous-Flut überschwemmt worden waren, gab es Streit. Emick erinnert sich an einen Streit zwischen Organisatorinnen, die sich gegenseitig beschuldigten, ihre Ehemänner betrogen und gemeinsame Bekannte gegeneinander aufgebracht zu haben, um ein Zerwürfnis herbeizuführen. Der Krieg der Worte steigerte sich in die höchsten Höhen des Machotums – schließlich war man im Internet. »Ihr habt keine Ahnung, worauf ihr euch da einlasst«, lautete ein Kommentar, der Emick im Gedächtnis blieb. »Wartet nur ab, was noch auf euch zukommt.«
Wenn 2008 das Jahr war, in dem Anonymous mit gut organisierten Demonstrationen die reale Welt auf sich aufmerksam gemacht hatte, dann war 2009 der Beginn der Auflösung. Hauptsächlich ging es darum, wozu Anonymous eigentlich dienen sollte: Aktivismus oder Lulz? Ausgefochten wurde dieser Konflikt zwischen »Moralschwuchteln« wie Emick und »Trolls« wie Bailey.
Ende 2009, kurz bevor die Armee ihn für ein Jahr nach Südkorea versetzte, hatte Bailey eine neue Webseite namens ScientologyExposed.com ins Leben gerufen. Die Proteste ebbten ab, aber die Anons kommunizierten immer noch im Netz darüber, wenn auch ziemlich regellos. Bailey wollte eine Alternative zu Gregg Houshs beliebter Seite Enturbulation.com schaffen (die vom durchgestylten WhyWeProtest.net abgelöst wurde). Housh hatte mit zahlreichen Zeitungs- und Fernsehreportern über Anonymous gesprochen, seitdem sein Name publik geworden war, und Enturbulation war sein Lieblingsprojekt. Er sagte den Journalisten, dass er absolut kein »Sprecher« für Anonymous sei, weil niemand für das Kollektiv sprechen könne, sondern mehr ein Beobachter. Inzwischen war er mit Gerichtsverfahren überzogen worden. Die Scientology-Sekte hatte Housh wegen Hausfriedensbruchs, groben Unfugs, Störung einer Gebetsversammlung und Landfriedensbruchs verklagt. Auf dem Höhepunkt der Proteste hatte ein Scientology-Sprecher gegenüber CNN erklärt, die Sekte stehe »unter sechs Todesdrohungen, Bombendrohungen und Drohungen mit Gewalt« und sei Gewaltakten durch Anonymous ausgesetzt. Housh passte nicht unbedingt ins Klischee eines Aktivisten, aber Bailey mochte weder ihn noch seine Webseite.
Baileys Ansicht nach waren die Nutzer von Enturbulation viel zu ernsthaft und »moralschwuchtelig«, um effektiv sein zu können, aber Houshs Seite war de facto zur Zentrale der Aktivitäten geworden, und eine Alternative war dringend nötig. Bailey wollte mit seiner Webseite Streiche und Internetattacken anstelle von friedlichem Aktivismus gegen die Sekte fördern. Hier gab es geheime Foren, eine Abteilung mit »Sachen zum Lachen«, zum Beispiel Passwörter für WLAN-Router von Scientology, und Tipps für Streiche. So wurden zum Beispiel pseudo-offizielle Abmahnungen an die Führer der Sekte vorgeschlagen, um ihnen Angst zu machen.
Bailey zwang sich, seine Seite auch während seiner Dienstzeit in Korea aufrechtzuerhalten, und arbeitete jeden Abend vier bis sechs Stunden daran, dazu am Wochenende. Es war ein anstrengender Stundenplan: Nachdem er bis ein oder zwei Uhr morgens am Rechner gesessen hatte, stand er um fünf Uhr für Jogging und Gymnastik mit den anderen Soldaten wieder auf, während es draußen noch dunkel war. Bailey hasste das ewige Laufen und zog sich dadurch ein schmerzhaftes Schienbeinkantensyndrom zu, aber jeden Abend freute er sich darauf, wieder in seinem Wohnheimzimmer am Rechner sitzen zu können. Er hatte das Ziel, Scientology zu Fall zu bringen, jetzt völlig verinnerlicht, und gewann dabei auch nur Freunde. Eine davon war Jennifer Emick.
Bailey und Emick trafen sich zunächst in einem Internetforum. Bailey mochte Emicks Chuzpe und lud sie ein, Administratorin an seiner Seite zu werden. Mit der Zeit wurde ihm allerdings klar, dass beide sehr verschiedene Ansichten über Anonymous hatten. Emick verstand die dunklere Seite der Chan-Kultur nicht und wollte, dass sich Anonymous auf friedliche Proteste beschränkte. Beide waren nicht auf den Mund gefallen und verstrickten sich bald in hitzige öffentliche Debatten. Als sie eines Tages im anonymen Forum der Seite miteinander stritten, brachte Emick schließlich das Fass zum
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