Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Körbchengröße B.
Daraufhin lud er seine Mutter und seinen Bruder ein, versammelte die Familie samt seiner Frau und den Kindern (damals zwei und drei Jahre alt) im Wohnzimmer und redete eine Stunde um den heißen Brei herum, bis er endlich auf den Punkt kam: Er wollte eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen und zur Frau werden. Es folgte schockiertes Schweigen. Ob er sich da wirklich sicher sei, war die erste Frage. Er erklärte rundheraus, dass er die Östrogentherapie bereits begonnen habe. Er wusste, dass seine Familie es ihm auszureden versuchen würde, und hatte sich vorgenommen, auf jeden Fall bei seinem Entschluss zu bleiben.
Bailey stellte seine Angehörigen vor die Wahl: Entweder akzeptierten sie seine neue Identität als Frau, oder sie hielten sich künftig aus seinem Leben heraus. Nicht lange nach dem Familientreffen ließen er und seine Frau sich scheiden; das Sorgerecht behielten sie gemeinsam. Baileys Mutter und Bruder fanden sich mit seiner Entscheidung ab. Bailey änderte seinen Namen in Laurelai – diesen Namen hatte seine Mutter für den Fall ausgesucht, dass sie eine Tochter geboren hätte.
Laurelai musste eine Unmenge lernen und sich völlig neu zurechtfinden. Eine Frau zu werden war, als ob man die Pubertät noch einmal durchmachte. Es war nicht leicht, aber sie glaubte, jetzt endlich der Mensch zu werden, als der sie gedacht war. Bald waren die soldatisch kurzen Haare um einiges länger, und sie lief in rosa Tanktops herum. Am Morgen setzte sie sich vor den Rechner und spülte ihre Hormonpillen mit einem Schluck Cola aus der Flasche hinunter. Sie wollte nicht nur ihre alte sexuelle Identität hinter sich lassen, sondern auch im Netz endlich das werden, was sie schon immer hatte sein wollen: eine richtige Hackerin statt einer einfachen Administratorin. Sie fing an, sich die dunkleren Seiten des Netzes anzueignen, behielt aber ihre Webseite ScientologyExposed noch bei, obwohl diese jetzt, Ende 2009, immer weniger Besucher bekam und Laurelai klar wurde, dass »Scientology zu vernichten« wahrscheinlich ein etwas zu hoch gestecktes Ziel gewesen war.
Eines Tages griff jemand die Webseite an. Laurelai überprüfte die Konfigurationen. Sie war mit so vielen Anfragen überhäuft worden, dass sie inzwischen offline war – eine klassische DDoS-Attacke also. Laurelai loggte sich in einem IRC-Chatroom ein und diskutierte gerade mit einigen Moderatoren ihrer Seite über das Problem, als sich ein neuer User im Chatroom einloggte und die Verantwortung für den Angriff übernahm. Die Moderatoren vermuteten einen Trittbrettfahrer, doch als Laurelai sich privat mit ihm unterhielt, erklärte er, ihre Seite würde mit einem Botnet angegriffen, und lud sie zu ihrer Überraschung sogar in den Kontroll-Chatroom dieses Botnets ein, um mit dem eigentlichen Täter zu sprechen. Laurelai stimmte zu und loggte sich in einen Chatroom auf einem anderen IRC-Netzwerk ein. Dort traf sie auf Kayla, die das Botnet kontrollierte, mit dem ihre Seite abgeschossen worden war. Laurelai hatte noch nie von ihr gehört.
»Wer zum Teufel ist da?«, fragte Kayla. Laurelai erklärte vorsichtig, dass sie die Seite ScientologyExposed.com betrieb, die Kayla gerade angriff. Kayla war überrascht und erklärte, sie wolle eigentlich Enturbulation.org angreifen, Gregg Houshs Seite. Dank technischer Komplikationen aus der Zeit, als sie kurzzeitig zusammengearbeitet hatten, teilte ScientologyExposed.com immer noch denselben Server mit Enturbulation.org. Indem sie Houshs Seite angriff, hatte Kayla gleichsam als Kollateralschaden auch Laurelais Seite geschädigt. Laurelai erklärte, ihre Seite sei als Alternative zu der von Gregg Housh gedacht und konzentriere sich mehr auf boshafte Streiche. Das fand Kayla ganz in Ordnung. »Tut mir leid«, meinte sie. »Aber was machst du auf demselben Server wie diese Moralschwuchteln?«
Laurelai merkte schnell, dass Kayla die Moralschwuchteln hasste; deshalb hatte sie Enturbulation.org überhaupt angegriffen. Kayla erzählte, dass sie absolut dagegen gewesen war, als die Organisatoren von Chanology das illegale Black-Hat-Hacken gestoppt hatten. Ihrer Meinung nach war es sehr viel effektiver, Scientology mit harten, schnellen Aktionen anzugreifen, als langwierig und friedlich gegen die Sekte zu protestieren. Laurelai hatte endlich jemanden gefunden, der wie sie dachte, und war besonders fasziniert, als Kayla von den Black-Hat-Hackern erzählte. Das waren die bösen Buben, die im Western schwarze Hüte
Weitere Kostenlose Bücher