Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
über Twitter und mit digitalen Flyern auf den Link hin. Einige Nachrichtenmedien übernahmen die Meldung.
Der Hacktivist Q gehörte sowohl zu den Teilnehmern in #InternetFeds als auch zu den Moderatoren des #OpTunisia-Chatrooms. Er erklärte den Tunesiern in AnonOps – denjenigen, die sich im Netz gut genug auskannten, um sich über Proxy-Server einzuloggen –, dass sie in ihren sozialen Netzwerken auf das Skript aufmerksam machen sollten.
»Ich fand #OpTunisia faszinierend«, erzählte Q später in einem Interview, »weil wir hier wirklich etwas bewegten, indem wir die westlichen Medien auf die Vorgänge im Land hinwiesen.« Innerhalb weniger Tage hatte die Technik-Nachrichtenseite ArsTechnica die Meldung über das Skript übernommen, und es war bereits von mehr als dreitausend tunesischen Nutzern heruntergeladen worden.
Sabu war beeindruckt, aber er wollte noch mehr Wirkung – eine unübersehbare. Er erinnerte sich an sein Defacement der puerto-ricanischen Regierungswebseiten und entschloss sich, die tunesische Revolution zu unterstützen, indem er die Regierung des Landes in eine peinliche Lage brachte. Dabei kam ihm zugute, dass arabische Regierungen ihre Webseiten nicht besonders gut gegen Angriffe abschirmten.
Sabu fand gemeinsam mit anderen #InternetFeds-Teilnehmern heraus, dass sämtliche Regierungswebseiten Tunesiens auf nur zwei Name-Servern lagen. Das waren ungewöhnlich wenige – die meisten Regierungen und Konzerne verteilten ihre Webpräsenz auf mehrere Name-Server, damit ein einzelner Hackerangriff nicht zu viel Schaden anrichtete. Im Fall Tunesiens aber würde es genügen, lediglich zwei Name-Server lahmzulegen, um die gesamte Regierung offline zu schießen. »Die waren sehr verwundbar«, erinnert sich einer der Hacker aus #InternetFeds. »Es war ganz einfach, sie dichtzumachen.«
Sabu erzählt, dass er die tunesischen Server nicht mit einem Botnet lahmlegte, sondern stattdessen einige Server einer Hosting-Firma in London kaperte und damit 10 Gigabyte Daten pro Sekunde auf die tunesischen Server abfeuerte. Die gekaperten Server waren Breitbandserver, die ein Vielfaches an Spam gegenüber einem gewöhnlichen Server senden konnten; es war ungefähr so, als würde man die Sonnenstrahlen mit einem Brennglas verstärken. Ganz alleine schaffte Sabu es auf diese Weise, die tunesische Regierung fünf Stunden lang offline zu halten. Allerdings filterten die Techniker auf der anderen Seite seine Datenpakete bald heraus, etwa so, wie ein Gutsherr den Butler anweist, keine Post eines bestimmten Absenders mehr anzunehmen. Sein Datenmüll verlor die Wirkung. Sabu ließ sich nicht abschrecken und wandte sich an einen alten Freund um Hilfe, den er aus seiner Zeit als Internetkrimineller kannte. Sabu nahm sich den ersten Name-Server vor, der Freund übernahm den zweiten.
Mit der Tunesien-Sache engagierte Sabu sich zum ersten Mal wirklich bei Anonymous. Er legte nicht nur den Webauftritt der Regierung lahm; mit einigen anderen arbeitete er sich auch durch Dutzende E-Mails von Regierungsangestellten. Aber erneut schlug die Regierung zurück. Jetzt blockierte sie allen ausländischen Besuchern den Zugang zu ihren Webseiten, also auch Sabu. Der plante, die Seite des tunesischen Premierministers Mohamed Ghannouchi zu defacen, aber das würde er von einem Rechner in Tunesien aus tun müssen. Natürlich hatte er nicht vor, sich deswegen ins Flugzeug zu setzen.
Am 2. Januar loggte er sich in den Chatroom #OpTunisia ein, wo er Dutzende Moderatoren und mehrere Hundert Anons aus der ganzen Welt vorfand, darunter auch aus Tunesien. Im Chat war von Angriffen über Proxys und mögliche DDoS-Attacken die Rede; viele wollten wissen, was eigentlich los sein. Sabu schaltete die Großschreibung ein und hatte seinen großen Auftritt. »WENN DU DICH IN TUNESIEN BEFINDEST UND BEREIT BIST, MEIN PROXY FÜR EUER INTERNET ZU WERDEN, MELDE DICH BITTE.«
Es wurde fast still im Chatroom. Nach einigen Minuten bekam Sabu eine private Antwort von einem Teilnehmer mit automatisiertem Nutzernamen. Wenn man sich in AnonOps nicht mit seinem eigenen Spitznamen einloggte, teilte das Netzwerk einen generischen zu, etwa Anon8935. Dieser User erklärte, er lebe in Tunesien. Sabu fragte nicht nach seinem wahren Namen; er wusste nicht, ob Anon 8935 in der drückenden Hitze einer Innenstadtwohnung oder draußen in einem ruhigen Vorort saß. Der Mann schrieb nur, er habe an den Demonstrationen teilgenommen und wolle jetzt etwas anderes probieren,
Weitere Kostenlose Bücher