Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
etwas mit dem Internet, allerdings habe er keine Ahnung vom Hacken.
Sabu gab ihm einige einfache Anweisungen, dann fragte er: »Mein Bruder. Bist du bereit?« »Ja.« »Dir ist klar, dass ich deinen Rechner benutze, um damit die Seite pm.gov.tn zu hacken?« »O. K. Sag mir, was ich tun soll.«
Sabu schickte eine kurze Anleitung, wie der Mann sich ein Programm herunterladen und installieren sollte, mit dem Sabu dann dessen Rechner übernehmen konnte. Schon bald hatte er einen veralteten Windows-Desktop vor sich und kämpfte mit einer quälend langsamen Internetverbindung. »Siehst du mich?« Sabu bewegte den Mauszeiger. »O. K.!«, wiederholte der Mann.
Sabu ging an die Arbeit, während der Tunesier zuschaute. Sabu öffnete den Befehls-Prompt und begann einen Programmcode einzutippen, wie ihn sein neuer Freund noch nie gesehen hatte; eine immer längere Reihe weißer Zeilen auf schwarzem Grund, welche die Hintergassen des Webs darstellten. Ungefähr vierzig Minuten brauchte Sabu, um die Seite des tunesischen Präsidenten aufzurufen. Er stellte sich vor, wie der Tunesier große Augen bekam. Innerhalb weniger Minuten war sie durch einen einfachen weißen Bildschirm mit einer Nachricht in schwarzen Buchstaben ersetzt. Oben stand: »Payback is a bitch, isn’t it?« (etwa »Operation Payback schlägt wieder zu«). Darunter sah man die schwarze Silhouette eines Piratenschiffs und die Bezeichnung »Operation Payback«. Den Angriff als Operation zu bezeichnen, sollte den Eindruck verstärken, dass es hier nicht nur um einen Protest oder einen anarchischen Streich ging, sondern vielmehr um eine Mission.
Inzwischen hatte Tflow Topiary benachrichtigt, dass ein Hackerangriff gegen Tunesien im Gang sei, und ihn um eine offizielle Defacement-Erklärung gebeten. Topiary schrieb einen Text und gab ihn an Tflow weiter, der ihn wiederum an Sabu schickte. Dieser ersetzte damit die offizielle Seite des tunesischen Premierministers Ghannouchi. »Grüße von Anonymous«, hieß es jetzt auf der Homepage von pm.gov.tn. »Wir beobachten, wie ihr eure Bürger behandelt, und das macht uns sehr traurig und wütend.« Genauso dramatisch ging es weiter, bis zur üblichen Schlusszeile: »Wir sind Anonymous, wir sind Legion … Rechnet mit uns.«
Sabu betrachtete die neue Seite, lehnte sich zurück und lächelte. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie das war, über den Internetanschluss von diesem Typen die Webseite des Präsidenten zu hacken«, erzählte er später. »Es war einfach klasse.« Die tunesische Regierung hatte ihre Server mit einer Firewall vor Angriffen aus dem Ausland geschützt; sie hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass der Angriff auch aus dem Inland kommen könnte.
»Danke, Bruder«, schrieb Sabu anschließend. »Lösche unbedingt alles, was du dir hierfür heruntergeladen hast, und konfiguriere deine Internetverbindung neu.« Nach einigen Minuten ging der Mann offline. Einige Tage später hängte Sabu eine tunesische Flagge in seiner Wohnung auf. Dann hörte er, dass der Tunesier festgenommen worden sei. Das tat ihm zwar leid, aber Sabu fühlte sich nicht schuldig. Es ging schließlich um ein höheres Ziel. »Operation Tunesien«, erinnerte sich Sabu später, »war der Anfang eines großen technologischen Fortschritts für Anonymous.«
Am 14. Januar 2011 trat der tunesische Präsident Ben Ali zurück. Das war ein historischer Wendepunkt. Die Demonstrationen Tausender Bürger gegen die hohe Arbeitslosigkeit und Alis erstickendes Regime waren in einer neuen Form des Internetprotests kulminiert, bei dem die Tunesier sich mit einem Bündnis von Menschen auf der anderen Seite des Globus zusammentaten. Ali verließ Tunesien und ging nach Saudi-Arabien ins Exil, und Sabu beendete seine mehrwöchige Kampagne gegen die Server der tunesischen Regierung. Im Februar trat dann auch Ghannouchi zurück, und in den folgenden Monaten wurde die Internet-Zensur in Tunesien dramatisch zurückgefahren.
Jetzt wandten Sabu, die Hacker von #InternetFeds und die Anons von AnonOps ihre Aufmerksamkeit anderen Staaten des Nahen Ostens zu. Sabu arbeitete mit anderen Hackern zusammen, um die Regierungsserver von Algerien lahmzulegen, dann stahl er Regierungs-E-Mails aus Simbabwe, um nach Beweisen für Korruption zu suchen. Sabu und Kayla kümmerten sich um die Root-Zugänge, Tflow koordinierte, Topiary schrieb die Defacement-Erklärungen. Die neue Nahostkampagne von Anonymous ging mit Riesenschritten voran; fast jeden Tag trafen die
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