Inside Occupy
der Ackerbauern hatten einen enormen Einfluss auf die Hofphi losophen späterer Generationen, bis hin zu Lao-Tse und Tschuang-Tse.
Wie viele ähnliche Bewegungen mag es im Verlauf der Menschheitsgeschichte gegeben haben? Wir wissen es nicht. (Wir wissen von den »Ackerbauern« überhaupt nur, weil sie auch Handbücher über den Ackerbau verfasst haben, die so gut waren, dass sie sich über Tausende von Jahren gehalten haben.) Aber es hat wahrscheinlich solche Initiativen schon immer gegeben – zumeist wohl eher als Fluchtbewegung (Lossagung von den alten und Einrichtung neuer Gemeinschaften) denn als revolutionäre Konfrontation mit der Obrigkeit.
Anfang des 18. Jahrhunderts tauchte als Komponente der Arbeiterbewegung der Anarchismus auf. Der konnte und wollte nicht mehr flüchten, der tendierte zu einer Vielzahl anderer Strategien, von der Bildung alternativer Wirtschaftsunternehmen wie Kooperativen oder mutualistischer Banken über Streiks und Sabotage bis hin zur offenen Rebellion.
Der Marxismus strebte, insbesondere in seiner Anfangszeit, letztlich nach demselben Ziel, wenn auch mit einem wesentlichen Unterschied: Die meisten Marxisten beharrten darauf, erst die Macht im Staat übernehmen zu müssen, um dann dessen Mechanismen zur Änderung der Gesellschaft einsetzen zu können – einer so tiefgreifenden Änderung, dass dann der Staat irgendwann überflüssig werden und verschwinden würde. Die Anarchisten im 19. Jahrhundert hielten das für ein Hirngespinst. Man könne, so ihr Argument, keinen Frieden schaffen, indem man für den Krieg übt, keine Gleichheit mithilfe hierarchischer Befehlsketten, kein menschliches Glück durch die Wandlung zum freudlos-verbissenen Revolutionär, der jede persönliche Selbstverwirklichung oder Erfüllung der Sache opfert. Nein, das Ziel rechtfertige nicht alle Mittel, und es sei nie zu erreichen, wenn die Mittel nicht selbst ein Modell für die Welt seien, die man zu schaffen wünsche. Daher rührt der berühmte anarchistische Aufruf, »die neue Gesellschaft in der Schale der alten aufzubauen« – und das mit egalitären Experimenten von freien Schulen über radikale Gewerkschaften bis hin zu Landkommunen.
Zuweilen führten, vor allem in den 1880er Jahren, einzelne Anarchisten gezielte Attentate gegen die Führer dieser Welt oder Räuberbarone (wie man sie damals nannte) durch. Daher rührt die berüchtigte Vorstellung vom anarchistischen Bombenwerfer. Aber wir müssen festhalten, dass der Anarchismus womöglich als erste moderne politische Bewegung erkannte, dass Terror, selbst wenn er sich nicht gegen Unschuldige richtet, nicht funktioniert. So ist der Anarchismus nun seit fast einem Jahrhunderteine der wenigen politischen Philosophien, deren Vertreter nie jemanden in die Luft sprengen würden. 34 Und doch verschwand der Anarchismus für einen Zeitraum von etwa 1914 bis 1989 fast völlig von der Bildfläche – nicht ganz zufällig eine Periode, in der ständig Weltkriege entweder geführt wurden oder drohten. Und der Grund für diesen Niedergang war eben der, dass eine politische Bewegung, wollte sie in derart gewalttätigen Zeiten als »realistisch« erscheinen, in der Lage sein musste, Panzerdivisionen, Flugzeugträger und Langstreckenraketen zu organisieren, was ja genau das war, worin die Marxisten sich nicht selten hervortaten. Und dass sie da nicht mithalten könnten, das hatten (was ihnen meiner Ansicht nach hoch anzurechnen ist) die Anarchisten erkannt. Erst nach 1989, nach dem Ende der großen Mobilmachung, tauchte prompt – in Gestalt des Global Justice Movement – wieder eine weltweite revolutionäre Bewegung auf.
Es gibt im Anarchismus eine Vielzahl von Varianten, Farben und Tendenzen. Ich für meinen Teil bezeichne mich gern als »small-a-anarchist«, als
anarchisten
also, dem weniger an der Klärung seiner Stellung in der Bewegung gelegen ist als daran, ganz undogmatisch in einem breiten Spektrum von Koalitionen zu arbeiten, die nach anarchistischen Prinzipien operieren und alles andere wollen, als zu einer quasistaatlichen Einrichtung zu werden. Wir machen unsere Beziehungen miteinander zu einem Modell der Welt, die wir schaffen wollen. Viele Fragen werden wir ohnehin erst viel später klären können. Gäbe es zum Beispiel in einer wirklich freien Gesellschaft einen Platz für Märkte? Woher sollen wir das wissen? Ich persönlich bin nach dem Studium der Geschichte durchaus zuversichtlich, dass sich wirtschaftliche Beziehungen in einer freien
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