Inside Occupy
bei den Verhandlungen, die zum Vertrag von Lancaster führten, war zwar der indianische Verhandlungsführer Canassatoga – derjenige, auf den der Vorschlag mit der Konföderation zurückging – ein Onondaga, aber Swatane, der zweite Mann auf Seiten der Irokesen, ein Kind französischer Eltern aus Quebec. Wir wissen wie gesagt nicht, wann der Bund ursprünglich gegründet wurde, aber wie alle lebendigen Verfassungen änderte er sich ständig und war in Entwicklung begriffen, und es besteht kein Zweifel daran, dass ein Gutteil der sorgfältigen Architektur und der erhabenen Würde seiner Ratsstruktur das Produkt ebendieser Mischung von Kulturen, Tradition und Erfahrung waren.
Die Demokratie wurde nicht im antiken Griechenland erfunden. Sie wurde überhaupt nicht erfunden. Ebenso wenig ist sie aus einer bestimmtenintellektuellen Tradition hervorgegangen. Sie ist noch nicht einmal wirklich eine Regierungsform. Im Wesentlichen ist sie nur der Glaube, dass die Menschen im Grunde alle gleich seien und man ihnen erlauben sollte, ihre kollektiven Angelegenheiten auf egalitäre Art und Weise zu regeln.
In diesem Sinne ist sie natürlich so alt wie die Geschichte selbst, ja, so alt wie die menschliche Intelligenz. Sie gehört niemandem. Man könnte sogar argumentieren, dass sie in dem Augenblick entstand, in dem Hominide die kommunikativen Fertigkeiten entwickelten, ein gemeinsames Problem kollektiv zu lösen. Aber solche Spekulationen sind müßig. Worauf es hier ankommt, ist, dass demokratische Versammlungen überall und zu allen Zeiten belegt sind, wo immer sich eine große Gruppe von Leuten zusammensetzte, um eine kollektive Entscheidung nach dem Prinzip der Gleichheit aller zu treffen.
Einer der Gründe, aus denen sich Politwissenschaftler leicht tun, balinesische Seka oder bolivianische Ayllu zu ignorieren, wenn sie von der Geschichte der Demokratie sprechen, ist der, dass es bei solchen Versammlungen nie zu Abstimmungen kommt. Der Gedanke, Demokratie sei einfach nur eine Frage der Abstimmung – wovon auch die Gründerväter ausgingen –, erlaubt es einem überdies, in ihr etwas Neues, eine Art konzeptuellen Durchbruch zu sehen. Als wäre in früheren Epochen irgendwie nie einer auf den Gedanken gekommen, das Maß des Zuspruchs für einen Vorschlag zu testen, indem man die Leute bittet, die Hand zu heben, etwas auf eine Tonscherbe zu ritzen oder sich auf die eine oder andere Seite eines öffentlichen Platzes zu stellen
Es gibt jedoch gute Gründe, eine Abstimmung zu vermeiden: Sie kann spaltend wirken. Wenn es einer Gemeinschaft an Mitteln mangelt, ihre Angehörigen dazu zu zwingen, sich an eine kollektive Entscheidung zu halten, dann ist es wahrscheinlichste das Dümmste, was man tun kann, eine Reihe öffentlicher Wettbewerbe zu veranstalten, bei denen jeder der einen Seite öffentlich beim Verlieren zusieht. Das lässt nicht nur Entscheidungen zu, mit der 49 Prozent der Gemeinschaft starke Probleme haben, es maximiert außerdem die Möglichkeit von Ressentiments unter genau den 49 Prozent, die man trotz oder gerade wegen ihrer Opposition zum Mitmachen bewegen müsste. Ein Prozess der Kompromiss- und Konsensfindung um einer kollektiven Entscheidung willen, der jedes Gemeinschaftsmitglied wenigstens nicht völlig ablehnend gegenübersteht, ist ganz offensichtlich weit geeigneter für Situationen, in denen es an der Art zentralisierter Bürokratie und, vor allem, an systematischen Zwangsmitteln fehlt, die nötig wären, Minderheiten zur Einhaltung von Entscheidungen zu bringen, die sie als dumm, widerlich oder unfair ansehen.
Am einfachsten ließe es sich so formulieren: Eine Mehrheitsabstimmung ist möglich, wenn aus Prinzip jeder den gleichen Einfluss auf eine Entscheidung haben soll oder es irgendein systematisches Mittel (in der Regel den Staat) zur Durchsetzung von Mehrheitsentscheidungen gibt, die nun mal nicht allen gefallen. Beides auf einmal vorzufinden, ist höchst ungewöhnlich. Fast die ganze Geschichte hindurch waren egalitäre Gesellschaften die, die weder Militär noch einen Polizeiapparat aufbieten konnten, um die Leute zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollten; und wo immer es diese Zwangsmittel gab, kamen eben die, die darüber verfügten, auch nie auf den Gedanken, die Meinungen ganz gewöhnlicher Leute seien irgendwie von Belang.
Wo also finden wir Abstimmungen? Bis zu einem gewissen Grad bei Gesellschaften, wo man Spektakel öffentlichen Wettbewerbs für normal hält – wie etwa im antiken
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