Inside Occupy
Jefferson solche Berichte zumindest in ihren Kindertagen gelesen hatten, ist groß, aber falls sie dadurch auf die eine oder andere Idee gekommen wären, hätten sie gewiss eher den Teufel getan, als das öffentlich einzugestehen. Und man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass es sich mit Menschen, die für sie für gewöhnlich »die amerikanischen Wilden« waren, viel anders verhielt.
Wie auch immer: Die frühen amerikanischen Siedlergemeinschaften an der Grenze zur Wildnis dürften den Verhältnissen auf den Piratenschiffen weit näher gewesen sein, als man uns glauben machen möchte. Auch sie waren Räume interkultureller Improvisation, die in einem hohen Maße der staatlichen Einflusssphäre entzogen waren. Erst jüngst begannen Historiker zu dokumentieren, wie komplex das Zusammenspiel der Siedler- und Indianergemeinschaften anfangs tatsächlich war. 31 So übernahmen die Siedler indianische Feldfrüchte, Kleidung, Medizin, Bräuche sowie Methoden der Kriegsführung und des Handels; nicht selten lebten sie nebeneinander, schlossen Mischehen, während wieder andere in indianischen Gemeinschaften in Gefangenschaft lebten, bevor sie nach Hause zurückkehrten, und dann hatten sie Sprache, Sitten und Gebräuche der Indianer gelernt. Vor allem aber lebten die Führer kolonialer Gemeinschaften und militärischer Einheiten in ständiger Sorge, ihre Untergebenen könnten, so wie sie Tomahawks, Wampums und Kanus übernommen hatten, auch die indianische Haltung hinsichtlich Gleichheit und persönlicher Freiheit absorbieren.
Das Ergebnis war eine kulturelle Transformation fast sämtlicher Aspekte des Siedlerlebens. So waren die Puritaner etwa der Ansicht, körperliche Züchtigung sei unerlässlich bei der Erziehung der Kinder; die Rute sei nötig, um den Kindern die Bedeutung von Autorität beizubringen und ihren (mit dem Makel der Erbsünde behafteten) Willen zu brechen, so wie man den Willen von Pferden und anderen Tieren bricht, und auch, um für Disziplin unter den Frauen und dem Gesinde zu sorgen. Die Indianer jedoch waren überwiegend der Auffassung, dass Kinder nie, unter keinen Umständen, geschlagen werden dürften. Soweit sich unter den Kolonisten ein individualistischer, nachsichtiger, freiheitsliebender Geist herauszubilden begann, schoben die puritanischen Gründerväter ihn den Indianern in die Schuhe – oder, wie sie sie damals noch nannten, »den Amerikanern«, da die Siedler sich selbst damals noch nicht als Amerikaner, sondern als Engländer sahen.
Was in Städten wie Boston galt, galt umso mehr an den Grenzen zur Wildnis, vor allem in den Gemeinschaften, die nicht selten aus entflohe nen Sklaven und Dienstboten bestanden, die – außerhalb jeglicher Kontrolle kolonialer Verwaltung – »zu Indianern wurden«. 32 Es galt auch in den Insel-Enklaven des »atlantischen Proletariats«, wie die Historiker Peter Linebaugh und Marcus Rediker sie genannt haben, jenen bunt zusammengewürfelten Gemeinschaften aus freigelassenen Sklaven, Seeleuten, Schiffshuren, Renegaten, Antinomisten und Rebellen, die sich vor dem Aufkommen des modernen Rassismus in den Hafenstädten der nordatlantischen Welt entwickelt hatten und in denen sich ein Gutteil des demokratischen Impulses der amerikanischen und anderer Revolutionen als Erstes herausgebildet zu haben scheint. 33
Würde die Geschichte wahrheitsgetreu geschrieben, es würde sich meines Erachtens zeigen, dass der wahre Ursprung des demokratischen Geistes – und höchstwahrscheinlich vieler demokratischer Institutionen – in diesen Improvisationsräumen liegt, gerade mal so außerhalb der Kontrolle von Regierungen und organisierten Kirchen.
Ich sollte hinzufügen, dass das auch die Haudenosaunee selbst mit einschließt. Der Irokesenbund wurde ursprünglich – wir wissen nicht genau, wann – als eine Art vertragliches Übereinkommen zwischen den Völkern der Seneca, Onondaga, Cayuga, Oneida und Mohawk ins Leben gerufen, um in Streitfällen zu schlichten und Frieden zu stiften. Während der Expansionsperiode im 17. Jahrhundert jedoch war der Bund ein außergewöhnliches Amalgam aus Stämmen, die wiederum zu einem Gutteil aus aufgenommenen Kriegsgefangenen anderer Stämme sowie entführten Siedlern und freiwillig Weggelaufenen bestanden. Ein Jesuitenmissionar beklagte auf der Höhe der Biberkriege um 1690 sogar die Unmöglichkeit, bei den Seneca in ihrer eigenen Sprache zu predigen, da so viele von ihnen diese selbst nicht flüssig beherrschten. Und noch 1744,
Weitere Kostenlose Bücher