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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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Basisgruppen eingesetzt, war jedoch auf allerhand Probleme gestoßen, als die Gruppen größer wurden, was schließlich einige Dissidenten aus den Reihen der Quäker einspringen und ihnen einige ihrer Methoden beibringen ließ. Es entbehrt also nicht einer gewissen Ironie, dass das, was heute als »anarchistischer Prozess« bekannt ist – all die ausgefeilten Techniken der Moderation und Konsensfindung, die Hand zeichen und vieles mehr – größtenteils gar nicht aus einer anarchistischen Tradition stammt, sondern sich vielmehr dem radikalen Feminismus, dem Quäkertum, ja sogar den indianischen Traditionen verdankt. 35 Man identifizierte sie mit dem Anarchismus, weil Anarchisten sie rasch als eben die Form erkannten, die sich für eine freie Gesellschaft eignete, in der niemand physisch zur Billigung einer Entscheidung gezwungen werden sollte, die seinen Ansichten zuwiderlief. 36
    Was, zum Teufel, ist Demokratie?
    Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, dass es hier nicht nur um bloße Methoden geht. Wir sprechen hier vom allmählichen Erarbeiten einer demokratischen Kultur. Zur Erreichung einer solchen gilt es einige unserer grundlegenden Annahmen darüber zu überdenken, was Demokratie denn eigentlich sei.
    Gehen wir in diesem Lichte zurück zu den Schriften von Männern wie Adams und Madison, ja selbst Jefferson, so müssen wir anerkennen, dass einige ihrer Vorbehalten und Einwände ernst genommen zu werden verdienen. Zunächst einmal würde ihrer Argumentation nach die Einrichtung einer auf Mehrheitsbeschluss gegründeten Demokratie unter weißen männlichen Erwachsenen in einer durch die ungleiche Verteilung des Reichtums zutiefst gespaltenen Gesellschaft wahrscheinlich zu stürmischen, instabilen und letztlich blutigen Verhältnissen führen. Hierin hatten sie womöglich Recht. Sie sprachen sich unter anderem dafür aus, dasslediglich etablierte Begüterte wählen und Ämter bekleiden dürften, weil nur sie ausreichend unabhängig seien, um es sich – frei von Eigennutz – leisten zu können, das Gemeinwohl im Sinn zu haben. Letzteres ist ein wichtiges Argument und verdient mehr Aufmerksamkeit, als ihm gemeinhin zuteil wird.
    Natürlich ist die elitäre Art ihrer Formulierung nicht zu übersehen. Hier reden Söhne aus reichem Haus über ihresgleichen und attestieren sich selber die nötige Gesetztheit, Selbstdisziplin und Reflexionsgabe, um in Staatsdingen mitreden zu können. Aber das wahre Problem, das hier zum Ausdruck kommt, besteht in der vorherrschenden Vorstellung von »Rationalität« bzw. Vernunft. Ein weitverbreitetes Argument gegen die Volksherrschaft war in der frühen Republik, die »acht oder neun Millionen ohne Besitz«, wie Adams es ausdrückte, seien des rationalen Urteils unfähig, weil sie keine Übung darin hätten, ihren Geschäften selbstverantwortlich nachzugehen. Dienstboten, Lohnarbeiter, erst recht Frauen und Sklaven seien nun mal das Ausführen von Befehlen gewohnt. Solche Leute, wenn sie das Wahlrecht bekämen, würden nicht lange überlegen, was das Beste für das Land sei, sondern sich auf der Stelle einem charismatischen Anführer unterordnen – entweder weil dieser sie mit Versprechungen oder gar direkt mit Geld ködern würde oder einfach auch deshalb, weil sie nichts anderes gelernt hatten, als jemandem hinterherzulaufen. Ein Übermaß an Freiheit würde also nur zur Tyrannei von Demagogen führen. Günstigstenfalls würde es zur »Parteienbildung« kommen, zu einem von politischen Parteien dominierten System, wogegen sich fast alle Gestalter des neuen Staats ausdrücklich aussprachen, weil solche Parteien nur um ihrer jeweiligen Interessen willen in Streit geraten würden. Hierin hatten sie Recht. Genauso kam es nämlich, kaum dass ein auch nur geringfügig erweitertes Wahlrecht eingeführt worden war. Wenn auch ein ausgesprochener Klassenkampf ausblieb – nicht zuletzt deshalb, weil alle Mühseligen und Beladenen, Unterdrückten und Geknechteten mithilfe der
frontier
, der sich auf den Pazifik zuschieben den Grenze zur Wildnis, aus den etablierten Sozialbeziehungen aussteigen konnten. 37
    Die Ansicht, dass nur vermögende Männer wirklich rational denken könnten und andere in erster Linie zum Folgen geboren seien, lässt sich mindestens bis ins antike Athen zurückverfolgen. Aristoteles spricht das ganz explizit am Anfang seiner staatsphilosophischen Schrift
Politik
aus. Nur freie männliche Erwachsene, so heißt es dort, könnten vollends vernunftbegabte Wesen sein,

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