Inside Occupy
selbstverständlich genau diesem Geist. Wie wir uns in den ersten Tagen im Tompkins Square Park immer wieder gegenseitig versicherten, sind New Yorks Stadtverordnungen so restriktiv, dass jede ungenehmigte Versammlung von mehr als zwölf Leuten in einem öffentlichen Park im Prinzip illegal ist (es handelt sich um einen Paragrafen, der außer gegen politische Aktivisten eigentlich nicht durchgesetzt wird); deshalb stellten allein schon unsere Meetings eine Form von zivilem Ungehorsam dar. Mindestens.
Was uns wiederum auf eine weitere wichtige Unterscheidung bringt – die zwischen zivilem Ungehorsam und direkter Aktion. Dieser Unterschied wird oft, irrtümlicherweise, als unterschiedlich heftige Militanz interpretiert: Ziviler Ungehorsam gilt dabei mutmaßlich als eine Angelegenheit von Blockaden, bei direkten Aktionen jagt man was in die Luft. Ziviler bzw. bürgerlicher Ungehorsam ist die Weigerung, sich einem ungerechten Gesetz zu beugen – oder einen rechtlich zwar einwandfreien, aber dennoch ungerechten Befehl auszuführen. Demnach kann ein Aktvon zivilem Ungehorsam auch die Form einer direkten Aktion annehmen, wenn man etwa seinen Einberufungsbescheid verbrennt, weil man auf dem Prinzip besteht, dass es in einer freien Gesellschaft keine Einberufungsbescheide geben würde – oder wenn man auf seinem Recht besteht, in einer nach Rassen getrennten Cafeteria auf jedem Platz bedient zu werden. Aber ein Akt zivilen Ungehorsams muss keine direkte Aktion sein, und für gewöhnlich stellen Akte zivilen Ungehorsams nicht die Rechtsordnung selbst infrage, nur bestimmte Gesetze oder eine bestimmte Politik. Sie zielen sogar oft explizit darauf ab, innerhalb der Rechtsordnung zu bleiben. Deshalb haben Leute, die sich des zivilen Ungehorsams als Mittel bedienen, auch oft gar nichts gegen eine Verhaftung; sie gibt ihnen eine Plattform, ein Gesetz oder eine Politik infrage zu stellen, sei es auf dem Rechtsweg oder vor der öffentlichen Meinung.
Eine kaum bekannte historische Episode mag das vielleicht illustrieren. Eine der Inspirationen für die Mobilisierungsaufrufe, die 1999 zu den Aktionen gegen die WTO in Seattle führten, war die Karnataka State Farmers’ Association, eine sich auf Gandhi berufende Bauerngruppe im indischen Bundesstaat Karnataka, die vor allem durch eine Aktion bekannt wurde, bei der 1995 Hunderte von Bauern systematisch eine Kentucky-Fried-Chicken-Filiale vor Ort zerlegten. Wie das Beispiel zeigt, sahen sie die Zerstörung von Eigentum als absolut legitimes Mittel gewaltfreien Widerstands. Ende der 90er Jahre startete ihr Präsident, M.D. Nanjundaswamy, eine Kampagne, den bürgerlichen Ungehorsam auf Europa und Amerika auszuweiten, was zu einer engen Zusammenarbeit mit dem Global Justice Movement führte. Die Aktion der Farmer’s Association gegen Kentucky Fried Chicken war eine der Inspirationen für das rituelle Demolieren von McDonald’s-Filialen, das zum regulären Bestandteil europäischer Aktionen wurde, und letztlich für die Angriffe auf Starbucks und andere Ketten in Seattle selbst. Aber Swamy (wie man ihn unter Aktivisten nannte) sprach sich schließlich gegen derlei Taktiken aus. Nicht weil er solche Angriffe auf Geschäfte für eine Form von Gewalt gehalten hätte; ganz offensichtlich nicht. Wie die Aktion gegen KFC in Indien hielt er sie für absolut vereinbar mit der gandhischen Tradition. Wogegen er war, das war der Umstand, dass die Aktivisten, die Immobilien beschädigten, nicht davor stehen blieben, bis die Polizei kam, um sich zu stellen. »Man muss in Konfrontation zu dem ungerechten Gesetz gehen!« Aber natürlich waren die Leute, die in Europa und Amerika Fast-Food-Filialen angriffen, Anarchisten; sie wären nie auf den Gedanken gekommen, innerhalb des Rechtssystems Gerechtigkeit finden zu können.
Bei den ursprünglichen Besetzungen jedenfalls handelte es sich sowohl um direkte Aktionen als auch um Akte zivilen Ungehorsams. Immerhin sprach unserer Ansicht nach alles für das Argument, dass die gesetzlichenBestimmungen, gegen die wir verstießen, verfassungswidrig sind. Die Bill of Rights – die Erklärung unveräußerlicher Grundrechte in Form der ersten zehn Zusätze zur amerikanischen Verfassung – wurde einer widerstrebenden Verfassunggebenden Versammlung durch Druck von unten aufgezwungen. Der Grundrechtekatalog war im Hinblick auf die britische Willkür der Kolonialzeit entstanden – wie etwa dem Versammlungsverbot – und sollte dem Volk ebendiese Art von
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