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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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die Teilnahme an sich schon aufregend findet, keine 14-Stunden-Meetings mehr abzuhalten. Achtet streng auf Zeitlimits, gesteht dem einen Diskussionspunkt zehn Minuten zu, einem anderen fünf und jedem Sprecher nicht mehr als 30 Sekunden. Erinnert die Sprecher immer wieder daran, dass es keinen Sinn hat, einfach zu wiederholen, was bereits gesagt worden ist. Besonders wichtig ist es, mit Vorschlägen nicht ohne triftigen Grund vor eine größere Gruppe zu gehen. Das ist von absolut grundlegender Bedeutung. Ja, es ist sogar so wichtig, dass ich dem Punkt einen eigenen Abschnitt widmen möchte:
    Kein Vorschlag ohne triftigen Grund
    Der Konsensprozess funktioniert nur, wenn man ihn mit dem Prinzip radikaler Dezentralisation kombiniert.
    Ich kann das gar nicht genug betonen. Ein Vorteil der Beschwerlichkeit formaler Konsensfindung besteht eben darin, die Mitwirkenden zweimal überlegen zu lassen, bevor sie Vorschläge vor die Vollversammlung, den Sprecherrat oder sonst eine große Gruppe bringen, wenn es nicht wirklich absolut nötig ist. Entscheidungsprozesse fallen immer leichter, wenn sie im kleineren Kreis stattfinden: in einer Arbeitsgruppe, einer Affinitäts gruppe 9 oder in einem Kollektiv. Die Initiative sollte von unten kommen. Man sollte nicht das Gefühl haben, von irgend jemandem eine Vollmacht zu brauchen, selbst von der Vollversammlung nicht (die ja jeder einzelne selbst ist), es sei denn, es könnte sich womöglich schädlich auswirken, ohne eine Bestätigung aller vorzugehen.
    Lassen Sie mich ein Beispiel geben.
    Einmal, das war noch vor der eigentlichen Besetzung – wir trafen uns damals noch im Tompkins Square Park –, wäre die Gruppe für Öffentlichkeitsarbeit um ein Haar geschlossen ausgestiegen. Sie hatte eine zweizeilige Beschreibung von Wesen und Zielen von Occupy Wall Street vorgeschlagen, die dann als Parole auf Flyern verwendet werden sollte, in der Vollversammlung jedoch auf ein Veto stieß. Die damalige Sprecherin der Öffentlichkeitsgruppe vermochte kaum zu verbergen, wie aufgebracht sie war, und ging damit schließlich zur mutmaßlichen Verfahrenskoryphäe (meiner Wenigkeit), um zu sehen, ob es nicht vielleicht eine Möglichkeit der Vermittlung gab. Ich überlegte einen Augenblick und fragte sie dann: »Tja, wieso bist du denn damit überhaupt vors Plenum gegangen?«
    »Weil ich mir dachte, es wäre besser, wenn alle mit dieser Selbstbeschreibungsparole einverstanden wären. Aber so, wie’s aussieht, können wir uns einfallen lassen, was wir wollen, irgend jemand hat immer was dagegen. Ich meine, so, wie wir das formuliert hatten, konnte da beim besten Willen keiner was dagegen haben!«
    »Bist du dir sicher, dass die nicht einfach ein Problem damit haben, dass ihr das überhaupt vors Plenum gebracht habt?«
    »Warum sollten sie?«
    »Okay, sehen wir das doch mal so. Ihr seid die Gruppe für die Öffentlichkeitsarbeit. Ihr seid eine Arbeitsgruppe, die von der Vollversammlung zur Öffentlichkeitsarbeit ermächtigt wurde. Also kann man wohl sagen, wenn ihr zur Öffentlichkeitsarbeit ermächtigt seid, dann hat man euch auch dazu ermächtigt, alles zur Erreichung der Öffentlichkeit Nötige zu erledigen. Sagen wir mal, zum Beispiel, euch eine Beschreibung der Gruppe einfallen zu lassen. Mit anderen Worten, ich sehe eigentlich keinen triftigen Grund, jemanden um Genehmigung zu bitten, es sei denn, ihr seid der Ansicht, da was derart Kontroverses reingeschrieben zu haben, dass ihr besser nachfragen solltet. Ich meine, ich war nicht dabei: War es kontrovers?«
    »Ach wo, ich habe eher gedacht, wenn’s ein Problem damit gibt, dann deshalb, weil’s eigentlich ziemlich ausdruckslos ist.«
    Das hat man davon, wenn man meint, für alles eine Zustimmung zu brauchen ...
    Worauf ich loszog, um denjenigen aufzutreiben, der gegen die Formulierung Veto eingelegt hatte, nur um zu erfahren, dass er absolut einverstanden war. Er hatte den Vorschlag nur geblockt, weil er klarstellen wollte, dass derartige Entscheidungen in die Arbeitsgruppen gehören.

    Hier eine allgemeine Faustregel: Entscheidungen sollten in möglichst kleinem Rahmen, auf dem untersten Level getroffen werden, auf dem es nur geht. 10 Das sind in unserem Fall die Arbeitsgruppen. Jede Vollversammlung hat sie; zur Zeit der Arbeit an diesem Buch verfügt die New Yorker »General Assembly« über mehr als vierzig davon. Einige sind permanente Gruppen und widmen sich vor allem logistischen Fragen (»Operations Groups«, wie sie im

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