Inside Polizei
durch die Reibung der Haut beim Aufprall auf dem Asphalt entstehen kann, setzte sich unauslöschlich in Karins Gedächtnis fest. Dazu gesellte sich eine Erkenntnis, auf die sie gerne verzichtet hätte: Blut stinkt. Ein schwer zu beschreibender intensiver metallischer Blutgeruch konservierte sich in Karins Nase. Sie benötigte mehrere Tage und Nächte, inklusive Albträumen, um diese Bilder und Gerüche aus ihrem Kopf zu verdrängen. Oft gelang das auch nur vorübergehend.
Dazu gesellte sich eine unglaublich hohe Zahl an zu bearbeitenden Selbstmorden. Niemals hätte sie gedacht, dass sich in Deutschland so viele Menschen selbst das Leben nehmen. Auch wenn 2009 ein historischer Tiefstand mit 9402 Freitoden und 100 000 Selbstmordversuchen zu verzeichnen war, gehörte das Abarbeiten dieser tragischen Fälle zur Routine. Diese Zahlen bedeuteten, dass sich in Deutschland jeden Tag beinahe 26 Menschen selbst töteten, 274 bei dem Versuch täglich scheiterten oder ihrem Umfeld dadurch bewusst einen letzten verzweifelten Hilferuf zukommen ließen.
Ein Selbstmord zog eine Reihe von polizeilichen Arbeiten, Fragen und Ermittlungen nach sich. Lagen Anhaltspunkte für einen Mord vor? Setzte der zugezogene Arzt nach der Leichenschau im Totenschein das Kreuz an der richtigen Stelle? Bloß nicht bei »Todesursache ungeklärt«, Denn das würde ein langes Warten am Tatort zur Folge haben, bis die Mordermittler eingetroffen waren, um alle Spuren gewissenhaft zu untersuchen und zu sichern. So vergingen dann schnell ein oder zwei Stunden neben einer Leiche, die vielleicht schon vier Tage vor Ort lag. Es gab wahrlich angenehmere Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen. Karin irritierte zusätzlich, dass über keinen dieser zahlreichen Einsätze in der Lokalzeitung berichtet wurde.
Eine Diskussion darüber fand in der Öffentlichkeit wohl absichtlich nicht statt. So musste sie sich allein mit diesem Thema auseinandersetzen und belasten, was ihr zunehmend mehr Probleme bereitete.
Das Thema Selbstmord wird von allen Medien in Deutschland bewusst verschwiegen, um gefährdete Nachahmungstäter nicht zu ermutigen. Nur bei prominenten Selbstmördern wird diese selbst auferlegte Zensur gelegentlich nicht aufrechterhalten. Dies allerdings mit fatalen Folgen: Nach der ausführlichen Presseberichterstattung zum Beispiel nach dem Freitod von Nationaltorwart Robert Enke gab es gleich einen deutlichen Anstieg der Suizide vor Zügen zu verzeichnen. Die Zahl der Selbsttötungen durch Züge überstieg dadurch die üblichen 900 Fälle pro Jahr und pendelte sich auf beinahe drei Menschen pro Tag ein.
Karin erschrak vor sich selbst, als sie merkte, dass sie innerhalb kürzester Zeit immer kälter und abgestumpfter wurde. Dabei hatte sie sich zu Beginn ihrer Dienstzeit geschworen, menschliche Schicksale nicht so gefühllos und nüchtern abzuarbeiten wie ihre älteren Kollegen. Sie ertappte sich aber immer öfter dabei, wie nicht mehr das persönliche Leid von Opfern und Verletzten im Vordergrund stand, sondern der Ärger über die anfallende Arbeit und den verspäteten Feierabend. Sie hasste sich dafür und machte sich Vorwürfe. Es war schrecklich, aber so lief es eben.
Karin pendelte zwischen einer Entmenschlichung der Opfer als Schutzpanzer für die eigene Seele und den daraus resultierenden kräftezehrenden Selbstvorwürfen hin und her. Auf diese innere Auseinandersetzung hatte sie niemand vorbereitet.
Was Karin noch nicht wusste, war, dass sie heute einen weiteren unerwarteten Kampf mit sich selbst würde austragen müssen, dessen negativer Ausgang weit gravierendere Auswirkungen haben würde als Selbstanklagen und ein schlechtes Gewissen.
Familienstreitigkeiten stellten einen weiteren großen Einsatzblock dar. Treffender gesagt, der Kampf Mann gegen Frau, oft im Zusammenspiel mit Alkohol oder anderen Arten von berauschenden Substanzen. Je später der Abend, desto betrunkener der Mann und umso mehr drängte er seine körperliche Dominanz der Beziehung auf. Karin hasste diese Einsätze. Ein Mann, der seine Frau schlug, das war widerlich. Die zur Schlichtung eintreffenden Polizeibeamten nahm dieser meist ausschließlich als Eindringlinge in seinem Revier wahr. Nach den ersten Beschimpfungen und Bedrohungen kam es dann auch oft schnell zu tätlichen Angriffen. Trotz der Jiu-Jitsu-Kenntnisse, die in der Polizeiausbildung vermittelt wurden, fühlte sich Karin in solchen Fällen fehl am Platz. Bei Widerstandshandlungen wurde sie ein weiteres Mal
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