Inside Polizei
im Einsatz. Damit müsst ihr erst mal allein klarkommen.«
Paul hängte verärgert das Funkgerät weg und fluchte innerlich. Natürlich, keine Verstärkung in Sicht. Wie auch. Die Wirtschaftskrise und die hohe Verschuldung des Landes hatten ihre Spuren auch bei der Polizei hinterlassen. Sparen beim Thema Sicherheit war erst einmal einfach und zog keine lästigen Demonstrationen nach sich. Die Polizisten waren Kummer gewohnt und durch ihr Beamtenverhältnis streng ihrem Dienstherrn unterworfen. Und die Bevölkerung registrierte doch kaum, ob ein gesamtes Stadtgebiet von 16 Streifenwagen oder nur von elf geschützt wurde. Die Bürger machten sich zwar vielleicht Gedanken, wenn sie nach einem Notruf eine halbe Stunde auf den Streifenwagen warten mussten, aber na ja, dann war wohl im Augenblick einfach sehr viel passiert.
Im Normalfall kam man als Polizist schon irgendwie zurecht, und gerade Paul war es gewohnt zu improvisieren. Doch heute irrte sich Paul. Diese Nacht würde anders verlaufen, unvorhersehbar ...
Karin wurde flau im Magen. Sie war stocksauer auf Paul, denn offenbar traute er ihr nicht einmal zu, das Funkgerät zu bedienen. Und jetzt raste er auch noch so. Wieso hatte er es so eilig, auf die Schlägerei zu treffen?
Weniger motivierte, bequemere oder ängstlichere Beamte fanden in so einer Situation Möglichkeiten, das Eintreffen am Tatort zu verzögern. In der Hoffnung, die Gemüter hätten sich bis dahin weitestgehend beruhigt oder die Schlägerei wäre im besten Fall bereits vorüber. Eine weitere Option bestand darin, das Einschreiten so lange hinauszuschieben, bis doch noch weitere Verstärkungskräfte zur Verfügung standen. Als Verzögerungstaktik bot sich an, die Strecke zum Ort des Geschehens bewusst langsam zu fahren, vielleicht verfuhr man sich ja auch noch zufällig und bog womöglich viel zu früh ab, oder man umrundete erst einmal die Tumulte im sicheren Streifenwagen und hoffte dabei, dass das bloße Zeigen von Polizeipräsenz die Streithähne bereits trennte.
Karin war klar, dass solche Gedankengänge Paul völlig fremd waren und er so ein Verhalten niemals billigen würde. Ganz im Gegenteil: Paul raste zum Einsatz. Er war angespannt, hoch konzentriert und sprach kein Wort. Er stellte sich auf mögliche Szenarien ein und verfluchte im Stillen einmal mehr die realitätsfremden Politiker.
»Wie kann man es verantworten, so viele Frauen bei der Polizei einzustellen?« Schon seit zehn Jahren pendelte sich die Einstellungsquote von Frauen von anfangs 30 Prozent auf jetzt bis zu 50 Prozent ein. Paul hätte sich gewünscht, dass eine dafür verantwortliche Politikerin nur einmal eine Nachtschicht am Wochenende in einem dieser heiß umkämpften Stadtviertel verbringen würde. Dann würde sie die Probleme erkennen, die durch einen so hohen, politisch gewollten und durchgesetzten Frauenanteil in der täglichen Polizeiarbeit entstanden.
Dabei war Paul nicht grundsätzlich gegen Frauen bei der Polizei. Akribische Ermittlungsarbeit in allen Bereichen – selbst der schwersten organisierten Kriminalität – erfüllten sie tadellos, Spurensuche und -sicherung an Tatorten, kein Problem, Anzeigenaufnahme und Bearbeitung, Kontaktbeamtin und erste Ansprechpartnerin in Stadtvierteln, alles wunderbar. Unbestritten war auch ihre oft deeskalierende Wirkung auf männliche Wüteriche.
Einsatzlagen mit Gewaltanwendungen waren aber mehr als problematisch. Das hatten Paul und seine Kollegen schon zu oft erleben müssen. Straßenschlachten mit Autonomen, Krawalle mit Hooligans und Streifenfahrten, die in einer gewalttätigen Auseinandersetzung endeten, waren ihrer persönlichen Erfahrung nach eindeutig keine passende Einsatzsituation für die meisten Frauen. Zu oft mussten Kollegen in die Bresche springen, wenn Kolleginnen von der entfesselten Gewalt zu erschreckt, ja gelähmt und zu ängstlich waren, um körperlich angemessen auf diese Angriffe zu reagieren. In einem Großeinsatz mit einem Dutzend Hundertschaften war ein solches Fehlverhalten natürlich eher auszubügeln als im Streifendienst zu zweit. Mann und Frau. Paul hatte keine Lust, in einer gefährlichen Situation plötzlich allein, ohne Partner und Rückendeckung, dazustehen.
Noch hatte er so eine schmerzhafte Erfahrung selbst nicht machen müssen, aber dies sollte sich bald ändern.
Karin hätte sich gerade in der jetzigen Situation über etwas Zuspruch gefreut, aber Paul raste schweigsam mit grimmigem Gesichtsausdruck Richtung Schlägerei. Sie
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