Inside Polizei
und schneller über den Einsatzverlauf und den Standort des Castors informiert als die Polizisten vor Ort. Die Weitergabe von Behördeninformationen an untergeordnete Einheiten hatte gegen die Aktualität der Liveberichterstattung der Medien keine Chance. Der Konvoi wurde für Marius und seine Einheit nur für kurze Zeit, unter ohrenbetäubendem Lärm der rotierenden Hubschrauber-Rotorblätter, am Horizont sichtbar. Das war ’ s.
Der Castor-Transport erreichte am Dienstag, den 9. November 2010, das Zwischenlager Gorleben, wo sich um 0952 die Tore schlossen.
Wie immer war damit der Einsatz aller Beamten jedoch noch nicht beendet. Die Nachaufsicht des Atommülltransportes zog sich über zwei Stunden hin. Die Einsatzführung wollte zu 100 Prozent sichergehen, dass keine Einheiten mehr benötigt wurden.
Sie wollte ausschließen, dass es weitere spontane Demonstrationen oder Gewaltentladungen gegen das Zwischenlager gab. Gegen 1200 nach 20 Stunden Dienst erreichte Marius ’ Hundertschaft der lang ersehnte Funkspruch der Einsatzführung: »Wir bedanken uns für Ihren Einsatz, und entlassen Sie aus dem Einsatzraum. Kommen Sie gut nach Hause.«
Aber nach Hause ging es noch lange nicht. Nach Erreichen ihrer Containerbehausung hatten Tausende Beamte erst einmal das gleiche Bedürfnis – ein warmes Essen. Nach den unvermeidlichen 30 Minuten des Wartens erhaschten sie einen freien Platz und verschlangen Grünkohl, Kartoffeln und Wurst, lecker wie die Tage zuvor. Dann wartete, nur 200 bis 300 Kilometer von dem eigenen Bett, Wohnung und Familie entfernt, ein letzter Befehl auf sie, der unbeliebteste Befehl des gesamten Einsatzes: Schlafen!
Alles Zaudern half nichts, der Befehl war eindeutig, sie mussten acht Stunden schlafen. Danach konnten sie ihre Klamotten packen, Autos beladen, eine letzte Mahlzeit zur Stärkung einnehmen und dann Richtung Heimatdienststelle aufbrechen.
Vor einigen Jahren hatte sich noch niemand darum gekümmert, dass die Beamten ausreichend schliefen. Sobald ein Einsatz beendet war, gab es für viele, egal, wie viele Stunden die Fahrer schon wach und im Einsatz gewesen waren, nur eines: die Fahrt Richtung Heimat. Deshalb hatte es in der Vergangenheit einige schwere Unfälle gegeben, sodass dieses Verhalten von der Führung nicht länger geduldet wurde.
Die unverantwortliche und gesetzeswidrige Übermüdung von Fahrern wurde aber in keinem Unfallbericht explizit aufgeführt, denn den Unfall nahmen natürlich Polizisten auf, Kollegen.
Kollegen, die ihre Zeit in den Einsatzhundertschaften und Großeinsätzen schon hinter sich hatten und dieses Verhalten nur zu gut kannten. In Polizeikreisen ist schließlich bekannt, dass kaum ein Verkehrsteilnehmer mehr Verstöße gegen das Tempolimit begeht als eine Polizeieinheit auf dem Rückweg von einem mehrtägigen Einsatz. Denn alle wollen nur schnellstmöglich nach Hause zu der wartenden Familie, den Freunden, der Frau oder der Geliebten.
Gegen 0030 erreichte Marius’ Gruppe die Heimatdienststelle. Dort musste der Wagen entladen, jedes Einsatzfahrzeug randvoll betankt, Verlust- und Reparaturmeldungen auf den Weg gebracht und Einsatzmittel für einen neuen Einsatz vorbereitet werden, insbesondere zählte dazu das Aufladen von Handys und Akkus der Funkgeräte. Denn eine alte Polizeiweisheit besagt zutreffend: »Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz!«
Weit nach Mitternacht konnte Markus dann seine Frau in den Armen halten, küsste seine schlafende fünfjährige Tochter, duschte und konnte endlich wieder in seinem eigenen Bett schlafen.
Im Gorleben-Einsatz wurden 131 Polizisten verletzt, davon 78 durch Gewalttäter (meist durch Stein- und Flaschenwürfe). Während der Protestaktionen nahm die Polizei 1316 Aktivisten in Gewahrsam und sprach 306 Platzverweise aus. Die Beamten leiteten 172 Strafverfahren ein und stellten 117 blockierende Traktoren sicher. Die Castor-Behälter benötigten von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Nordfrankreich bis zum Zwischenlager Gorleben 92 Stunden. So lange wie nie zuvor.
Die Kosten des Gesamteinsatz werden nach ersten Schätzungen 50 Millionen Euro übersteigen.
Im November 2011 wurden weitere elf Atommüllbehälter aus La Hague abgesandt.
Und ab 2014 warten 21 Container aus dem britischen Sellafield auf ihren Transport zum Zwischenlager Gorleben.
Der eilig beschlossene Atomausstieg nach der Katastrophe in Fukushima bedeutet nicht etwa das Ende der umstrittenen Castor-Transporte, im Gegenteil. Experten rechnen mit
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