Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
die Techniken und das Unvermögen unserer Klientel zu beobachten. Wie oft schlug uns die Naivität mancher Steuersünder entgegen, die tatsächlich der Meinung waren, dass ein geschickter Steuerbetrug nur auf der Steuererklärung funktionieren musste, und dabei nicht in Betracht gezogen hatten, dass das Finanzamt auch Hausbesuche machte – in Gestalt der Steuerfahndung. Ob das der Tierarzt mit dem offen in der Praxis liegenden Einnahmenbuch war, in dem farblich abgehoben die Spalten »fürs Finanzamt« und »für mich« aufgeführt waren, oder der Handwerker, der bei 20 000 Mark Jahresgewinn sein ganzes Haus mit Urlaubsfotos und Erinnerungsstücken aus den weltweit schönsten Urlaubsparadiesen geschmückt hatte. In den meisten Fällen passte zu vieles nicht zusammen – Haus und Einkommen, Lebensstandard und Umsätze, und es wurde viel zu selten in Betracht gezogen, dass durch die empfindlichen Eingriffe einer Steuerfahndungsstelle in das Privatleben von Bürgern nicht nur die Steuererklärungen geprüft wurden, sondern im Zweifel ganze Biografien.
Gastwirte, deren Ausgaben für Einkäufe über Jahre hinweg um 30 Prozent höher als ihre Umsätze lagen, hatten schon bei einer Kontrolle durch die Betriebsprüfungsstellen keine Chance. Viele verstanden es nicht, die Ausgaben ihren fingierten Einnahmen anzupassen. Wer Jahr für Jahr über das Geschäftskonto für 10 000 Euro Bier einkaufte, aber stets nur für 5 000 Euro Bier verkaufte, hatte ein Problem. Die etwas klügeren Steuerbetrüger bestritten einen Teil ihrer Einkäufe aus den Schwarzgeldkassen. Dann passten Einnahmen und Ausgaben zusammen und der Nachweis einer Steuerhinterziehung wurde schon deutlich erschwert.
So geschehen bei einem China-Restaurant, das eine Steuerfahndungsstelle im Süden der Republik unter die Lupe nehmen musste. Mit herkömmlicher Fahnderpraxis war in diesem Fall nicht viel auszurichten. Die Bücher, die garantiert manipuliert waren, hielten jeder Überprüfung stand, die Durchsuchung hatte keinen Hinweis auf etwaige Mauscheleien gegeben und doch waren alle Beteiligten – vom Sachbearbeiter auf dem Finanzamt über die Betriebsprüfer bis hin zur Steuerfahndung – davon überzeugt, dass in dem Lokal massiv Steuern hinterzogen wurden. Man kam auf eine interessante Lösung: eine längerfristige Video-Überwachung.
Die Vorbereitungen waren schnell getroffen: Ein paar Besuche – inkognito – in dem Restaurant hatten gezeigt, dass pro Gast im Schnitt etwa 15 Mark für Essen und Getränke zu berechnen waren. Es galt also nur noch herauszufinden, wie viele Restaurantbesucher das Lokal pro Tag besuchten, und schon hätte man eine einigermaßen präzise Berechnungsgrundlage für die wahren Umsätze in dem verdächtigen China-Restaurant. Da es sich in dem vorliegenden Fall um eine mutmaßlich langjährige Hinterziehung in größerem Ausmaß handelte, wurden in der Tat aufwendige Vorkehrungen getroffen.
In einem Haus auf der anderen Straßenseite konnte man einen Mieter dazu überreden, in seinem Fenster, das exakt gegenüber des Restauranteingangs lag, eine Videokamera zu installieren, die jede Bewegung an der Lokaltür für die Steuerfahndung aufzeichnete – und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg.
Nach der Auswertung der Bänder zeigte sich, dass der Restaurantbetreiber in einem ganz erheblichen Maße falsche Angaben gemacht hatte. Da in Fällen wie diesen auf Basis der durch die Überwachung gewonnenen Daten die Umsätze des Gastwirtes hochgerechnet, also gleichsam geschätzt wurden, stellte sich heraus, dass über einen Zeitraum von zehn Jahren etwa 1,3 Millionen Mark Steuern hinterzogen worden waren. Die Sache ging vor Gericht, und der Wirt wurde zur vollständigen Nachzahlung der von der Fahndungsstelle geschätzten Steuerschuld verurteilt und musste überdies eine sechsstellige Geldstrafe hinnehmen. Die Wahl der »Waffen« war in diesem Fall tatsächlich grenzwertig – aber letztlich hatte doch der Zweck, beziehungsweise der Erfolg, die Mittel geheiligt.
Tricks vom Assessor
Bei Friedbert L. (Name geändert) musste ich immer an einen Geisterfahrer denken, der auf der Autobahn fahrend die Warnmeldung im Radio hört und sich dann erstaunt fragt: »Was, ein Geisterfahrer? Hier sind doch alle falsch unterwegs!«
So ein Mensch war der Herr Assessor L. Der Mann hatte Rechtswissenschaften studiert und sein Studium mit Auszeichnung bestanden, aber irgendwie nie die Zulassung als Anwalt beantragt. Er blieb ein Assessor, ohne Job,
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