Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
Mehrwertsteuer ein. Ihre Forderung: 14 000 Mark Vorsteuer.
Die Finanzämter erstellten Kontrollmitteilungen, die Friedbert L. beziehungsweise seinen Verlag i. G. betrafen. In der gesamten Republik geisterten im Laufe der Zeit Rechnungen von Friedbert L. in fünf- oder sechsstelliger Höhe herum, und keiner konnte sich das so richtig erklären. Die Steuerfahndung wurde eingeschaltet.
Unter Aspekten des gesunden Menschenverstandes betrachtet, konnte diese Sache nicht funktionieren, weil die »Kunden« des Herrn Assessor L. ja irgendwann tatsächlich die Rechnungen plus die Mehrwertsteuer, die sie bereits vom Staat kassiert hatten, hätten bezahlen müssen. Aber das taten sie nicht. Auch gab es natürlich keinen gerichtlichen Urheberrechtsstreit. Das einzige Geld, das in diesem Konstrukt wirklich floss, war die Mehrwertsteuer-Rückerstattung der Finanzämter. Es handelte sich also um Steuerhinterziehung, und bald kamen die ersten Fälle vor Gericht.
Ein mehrfach einschlägig vorbestrafter »Kunde« des Rechtsassessors wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, andere erhielten Geldstrafen – und Friedbert L. stellte weiter Rechnungen aus. In seinem Tricksereien-Magazin schrieb er von Unrechtsurteilen. Der Mann glaubte tatsächlich an seine Sache, und ein paar seiner Kunden auch. Wurden diese mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung konfrontiert, sprachen sie von Gesetzeslücken. Welche diese sein könnten, wussten sie nicht zu sagen – sie zitierten einfach nur ihren Rechtsberater und Geschäftspartner L., den Herrn Assessor.
In der Zwischenzeit konnten wir den Mann endlich aufspüren, nachdem er bei einem seiner zahlreichen Ortswechsel einen Fehler begangen hatte. Aber er blieb weiter stur. Während der Durchsuchung seines Zimmers versuchte ich immer wieder, auf ihn einzureden. Ich bat ihn, mit der Sache aufzuhören, da er letztlich zu viele Menschen ins Unglück stürzte. Aber Friedbert L. ließ sich nicht überzeugen: »Sie versuchen, mich von meinem Weg abzubringen, aber ich weiß, dass ich recht habe.«
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Friedbert L., aber der Fall blieb fast fünf Jahre in den Mühlen der Justiz hängen. Die Sache war eigentlich klar. Eigentlich. Für manche »Kunden« von Friedbert L. wurde es zunehmend enger. Die Mehrwertsteuer hatten sie kassiert, die Rechnung an Friedbert L. aber naturgemäß nicht bezahlt. Und der glaubte, mit einer Gesellschaft in Gründung überhaupt nichts zu müssen, und gab sich uneinsichtig.
Im Vorfeld des Verfahrens, das nach Jahren der Ermittlungen Mitte der 90er-Jahre endlich beginnen konnte, wurde Friedbert L. in einer Uniklinik von einem Psychologie-Professor auf seine Zurechnungsfähigkeit überprüft. Aber auch in diesem Fall bediente sich der Mann seines umfangreichen Trick-Arsenals. Er stellte dem Arzt eine Rechnung für ein Beraterhonorar und erklärte während der Gerichtsverhandlung, in der er sich naturgemäß selbst verteidigte, den Gutachter für befangen, weil der ihm noch Geld von einer ausstehenden Rechnung schulden würde. Ein aberwitziger Schachzug des Assessors L.
Ich selbst war in diesem komplizierten Prozess als Zeuge geladen. Die Steuerfahndung Frankfurt hatte die Ermittlungen gegen Friedbert L. durchgeführt und die Staatsanwaltschaft hatte den Fall zur Anklage gebracht. Da ich bereits in drei oder vier weiteren Prozessen gegen die »Kunden« des Friedbert L. ausgesagt hatte, musste ich mit dem Angeklagten zusammen nach vorne an den Richtertisch treten und das ganze Konstrukt – so wie es die Steuerfahndung Frankfurt sah – im Beisein von L. noch einmal erläutern. Und dann kam es endlich zu einem Urteil: Da L. nach seinem Winkelzug gegen den Gutachter für zurechnungsfähig erkannt worden war, musste er schließlich in Kauf nehmen, dass er von dem Gericht schuldig gesprochen wurde. Ihm wurde eine Bewährungsstrafe auferlegt und unmissverständlich klargemacht, dass er für jede seiner Rechnungen, die er an Dritte verkaufen würde, ohne Ausnahme die Mehrwertsteuer abführen müsse.
Zurück im Büro berichtete ich meinem damaligen Sachgebietsleiter von der Gerichtsverhandlung und dem Ausgang des Verfahrens. Als wir unser Gespräch beendet hatten, stand ich auf und drehte mich zur Tür. Der Kollege rief mir nach: »Was haben Sie denn da an Ihrer Hose? Und was in Gottes Namen klebt da auf dem Stuhl?«
Es war ein Kaugummi. Ein riesiger Kaugummi, dessen Reste an meinem Hosenboden und dem Stuhl klebten. Da hatte ich dann die
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