Inside Steuerfahndung: Ein Steuerfahnder verrät erstmals die Methoden und Geheimnisse der Behörde (German Edition)
Pipeline-Konto finden würden. Wir verdächtigten das Geldhaus, beziehungsweise dessen Mitarbeiter, der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in mehreren tausend Fällen. Diese wurde systematisch bundesweit nach demselben Schema betrieben, also musste es folgerichtig irgendwo beschlossen und an die Filialen weitergegeben worden sein. Das Kreditinstitut beziehungsweise dessen Mitarbeiter konnten nur wegen Beihilfe belangt werden, wenn Steuerhinterziehungen festgestellt worden waren. Da dies in den Fällen der Selbstanzeigen gegeben war – es existierten nachweislich Hinterziehungen, nur griff über § 371 AO ein Strafausschluss –, konnten wir auch wegen der Beihilfe gegen einzelne Bankmitarbeiter ermitteln. Das war unser Einstieg. Und es gab nur einen Ort, an dem wir die Beweise für eine konzertierte Beihilfe zur Steuerhinterziehung würden finden können: in der Vorstandsetage der Commerzbank.
Und so lautete dann auch unser Durchsuchungsbeschluss: Offenlegung des Pipeline-Kontos, Einsicht in alle Auslandstransfers und die Sicherstellung von Anweisungen oder Protokollen aus Vorstandssitzungen der Bank. Wir hatten das Zündholz an der Lunte einer ganz großen Bombe. Es galt nur noch, den richtigen Zeitpunkt für die große Detonation herauszufinden.
Zwischen 1958 und 1991 hatte die Commerzbank ihren juristischen Sitz in Düsseldorf. Erst 1991 verlagerte die heute zweitgrößte Bank Deutschlands ihre Zentrale nach Frankfurt. Von unseren Konzernprüfern wussten wir allerdings, dass sich der Bankvorstand von Zeit zu Zeit auch in Düsseldorf traf – und genau dieser Zeitpunkt sollte aus taktischen Erwägungen das Datum unserer Durchsuchung sein. Solange sich der Vorstand in Düsseldorf aufhielt, dachten wir, hätten wir zumindest für ein paar Stunden unsere Ruhe vor dem Sturm, der dann noch auf uns einbrechen sollte.
Zunächst jedoch musste die für uns bis dahin größte Durchsuchungsaktion logistisch angegangen werden. Unser Zwei-Mann-Team war inzwischen auf fünf Personen angewachsen, darunter ein EDV-Spezialist. Darüber hinaus hatten wir Kontakt zur Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt für Fahndung und Strafsachen in Düsseldorf aufgenommen, die durch ihre Ermittlungen gegen die Dresdner Bank seit 1994 eine führende Rolle bei Bankenfällen innehatte und unserem Team von Anfang an mit Rat – und später auch mit Tat – zur Seite stand. Diese Spezialisten aus Düsseldorf sowie Fahnder aus ganz Hessen und weiten Teilen der Bundesrepublik hatten wir im Vorfeld angefragt. Für ein Unternehmen dieser Größenordnung waren rund 200 Steuerfahnder nötig, und die mussten in Frankfurt untergebracht, in Lagebesprechungen informiert und in etwa 20 Gruppen zu je 10 Mitarbeitern eingeteilt werden. Es galt nicht nur, die Konzernzentrale zu durchsuchen, sondern auch die auf verschiedene Gebäude in der Stadt verteilten Buchhaltungsarchive und Außenstellen, sowie eine kleine Auswahl von Filialen im gesamten Bundesgebiet.
Von unseren Betriebsprüfern kannten wir den genauen Aufbau der Bank und konnten so die Einteilung der einzelnen Ermittlungsgruppen entlang eines Organigramms des Kreditinstitutes vornehmen. Ein wenig erinnerten die Vorbereitungen an die alten Sandkastenspiele führender Militärstrategen. Man versucht herauszufinden, wie der Gegner seine Truppen aufgestellt hat, und bereitet seinen Angriff entsprechend vor. Und der stand nun unmittelbar an.
Am 27. Februar 1996, pünktlich um 9.00 Uhr, strömten bundesweit in einer konzertierten Aktion mehr als 200 Steuerfahnder in die Commerzbank, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dass sie im Begriff waren, eine der größten Steuernachzahlungswellen in der Geschichte der Bundesrepublik auszulösen.
Nachdem wir uns in der Frankfurter Bankzentrale ausgewiesen hatten, stellte sich innerhalb weniger Minuten eine kleine Armee von Juristen aus der hausinternen Rechtsabteilung vor uns auf. Dass die Steuerfahndung gelegentlich in einem Kreditinstitut auftauchte, um das Schließfach eines Beschuldigten zu versiegeln, war in Bankkreisen nichts Außergewöhnliches. Aber 50 Fahnder in der Zentrale mit einem Beschluss, der sich auf die gesamte Bank bezog, war ein Novum. Und neu war vor allem unsere Antwort auf die Frage der Rechtsabteilung, wo wir denn mit unserer Durchsuchung beginnen wollten: »Ganz oben, in der Vorstandsetage!«
Es dauerte nicht lange und der gesamte Bankvorstand war aus Düsseldorf in die Frankfurter Zentrale geeilt. Wir hatten mit unserer Durchsuchung in den
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