Inside WikiLeaks
versorgte?
Zwar kam es im Laufe des Vortrags beim CCC zu ein paar Pannen – sobald Julian das Mikrofon in die Hand nahm, zog er mehrfach die Videoverbindung aus dem Computer, so dass das Bild ausfiel. Dafür bedachte das Publikum die beiden sympathisch-verpeilten Redner am Ende nur mit noch größerem Wohlwollen.
Ich zog mich nach Vorträgen am liebsten auf ein Sofa in die Lounge zurück, entspannte mich und beobachtete die Menschen, die an mir vorbeiströmten. Julian streifte unermüdlich weiter durch die Räume, immer bereit, entdeckt und angesprochen zu werden.
Julian zu Besuch
Nach dem Kongress Ende 2008 kam Julian mit nach Wiesbaden und wohnte zwei Monate lang bei mir. Er machte das immer so: Er hatte keinen festen, dauerhaften Wohnsitz, sondern schlüpfte bei anderen Leuten unter. Sein Gepäck bestand im Wesentlichen aus einem Rucksack, darin seine beiden Notebooks und jede Menge Handykabel (wobei sich das passende selten fand, wenn er es mal brauchte). Am Körper trug er mehrere Schichten von Klamotten. Auch wenn er sich in geschlossenen Räumen aufhielt – ich habe nie verstanden warum –, trug er zwei Hosen und sogar mehrere Paar Socken übereinander.
In Berlin hatten wir uns die »Kongressseuche« eingefangen. So nennen die Club-Leute die Grippewelle, die sich traditionell zu dieser Jahreszeit in Menschenansammlungen verbreitet, zumal wenn sie Tastaturen und Kongressluft miteinander teilten. Grau im Gesicht, verschnupft und schweigend ließen wir uns am 1. Januar 2009 von einem überfüllten ICE zurück nach Wiesbaden rollen. Kaum in meiner Wohnung angekommen, zwang uns die Grippe auf die Matratzen – das heißt, weil ich noch ein bisschen besser beieinander war, gab ich Julian mein Bett und zog mich selbst aufs Matratzenlager daneben zurück.
Julian zog sich alle Klamotten an, die er finden konnte, und fischte noch eine Skilatzhose aus seinem Rucksack. So legte er sich in die Federn, umwickelte sich mit zwei weiteren Wolldecken und schwitzte schlafend das Fieber aus. Als er nach zwei Tagen wieder aufstand, war er gesund. Das war effizient gelöst.
Meine Wohnung lag im Wiesbadener Westend. Das ist ein Viertel, in dem man das Fahrrad im Hof besser mit einem extra dicken Schloss festmacht. Die Gegend hatte den Vorteil, dass es mehr Handyshops als Supermärkte gab und man sich leicht mit Billig-Handys und SIM -Karten versorgen konnte.
Die Wohnung lag nach vorne heraus im Souterrain, etwa einen halben Meter unter Bürgersteig-Niveau. Dass die Leute von dort in mein Wohnzimmer gucken konnten, machte Julian anfangs ziemlich nervös. Wir zogen das Rollo herunter, es war ein durchscheinendes, gelbes Papierrollo, an das ich eine tibetische Flagge gepinnt hatte. Die einfallende Sonne sorgte für ein schummrig-warmes Licht, Sonnenlicht aus zweiter Hand sozusagen. Ich mochte das.
Auf die überstandene Grippe folgten friedliche, arbeitsame Tage. Wir saßen in meinem Wohnzimmer und tippten auf unseren Laptops: Ich am Schreibtisch in der Ecke vor dem Fenster, Julian neben mir auf der Couch, den Rechner auf dem Schoß. Er trug meistens seine olivfarbene Daunenjacke und hatte sogar die Kapuze aufgezogen oder sich eine Decke um die Beine gewickelt.
Ich sorgte mich ein wenig um mein Sofa. Er hatte die schöne braune Rolf-Benz-Couch aus Velour, die ich bei meinen Eltern vor dem Sperrmüll gerettet hatte, zu seinem Stammplatz auserkoren. Julian aß fast alles mit den Händen, sogar Leberkäse. Die Finger wischte er sich gerne mal an der Hose ab. Die Couch hatte mehr als dreißig Jahre überlebt, sie war älter als ich selbst. Ich fürchtete, Julian würde sie innerhalb weniger Wochen ruinieren.
Julian hatte den Anspruch an sich, seinen Rechner blind zu bedienen. Das war eine nahezu meditative Arbeit. Wenn er zum Beispiel Mails beantwortete, tippte er sich rasend schnell durch die Textfelder, ohne dabei auf den Bildschirm zu gucken. Er füllte die einzelnen Felder vor seinem inneren Auge und hangelte sich mit Tastenkürzeln von Eingabemaske zu Eingabemaske.
Da auch unsere Kommunikation nach außen durch mehrere Mechanismen anonymisiert und gesichert war und die Mails nicht von unseren eigenen Laptops, sondern von einer Remote-Maschine abgingen, waren die Verbindungen nervenaufreibend langsam. Wenn man etwas tippte, erschienen die Worte erst mit großer Zeitverzögerung auf dem Bildschirm. Julian hatte trotzdem den Willen, seine Aufgaben blitzschnell zu erledigen, eben im Blindflug. »Ohne optisches Feedback
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