Inside WikiLeaks
begutachtete er unsere Tickets, und als er diese patzig zurückgab, platzte Julian der Kragen.
In schlechtem Englisch sagte der Italiener, es tue ihm zwar sehr leid, dass wir offensichtlich die falschen Tickets gekauft hätten. Aber – tadah! – er böte uns an, gegen einen geringen weiteren Aufpreis eine Lösung für unser Problem bereitzuhalten. Ich hätte klein beigegeben, aber bei Julian brannte eine Sicherung durch. Er weigerte sich, die weiteren zehn oder fünfzehn Euro Aufschlag zu bezahlen, und guckte den Schaffner verächtlich an.
Der Kontrolleur war ein übellauniger Mittfünfziger, alles andere als zuvorkommend, der möglichst schnell in sein Abteil zurückkehren wollte, zu einer Runde Skat mit den Kollegen oder was auch immer ihn erwartete. Wir hätten ewig mit dem Italiener darüber diskutieren können, warum wir gerade ohne eigenes Verschulden erneut zur Kasse gebeten wurden und was wir generell von seinem Heimatland und dessen mafiösen Strukturen hielten. Aber wir mussten schnellstmöglich nach Rom und diesen Billigflug bekommen, den ich bereits bezahlt hatte. Dafür hätte ich diesen lächerlichen Aufpreis gerne übernommen und mich entspannt. Julian jedoch brach einen derartigen Ärger vom Zaun, dass der Schaffner an der nächsten Station die Carabinieri hinzurief. Mir war das peinlich, zumal neben uns jemand saß, der ebenfalls auf der Konferenz in Perugia gewesen war. Julian störte sich überhaupt nicht an dem Publikum, er hatte eher Spaß daran.
Nun waren wir also von dem Schaffner und zwei jungen Polizisten umringt. »Ihre Papiere bitte«, sagte die höchstens 20-jährige Polizistin, die mindestens genauso muffig guckte wie ihre Kollegen.
Ich kramte in meinen Taschen. Julian protestierte scharf: »Wir zeigen hier niemandem unsere Papiere.«
Ich reichte der Frau meinen Ausweis. Julian verschränkte die Arme und schnaufte verächtlich.
Die drei Italiener schauten sich unentschlossen an. Sie hätten Julian gerne aus dem Zug geworfen, aber keiner mochte den ersten Schritt tun. Man hätte den Australier, der sich immer noch lässig auf seinem Sitz ausgestreckt hielt, am Arm greifen und aus dem Sitz ziehen müssen. Dazu mochte sich keiner der drei durchringen.
Julian war der Meinung, man müsse diesem Schaffner unbedingt eine Lektion erteilen. Uniformierte Autorität müsse grundsätzlich in Frage gestellt werden. Und dass es nicht ginge, dass man ihn respektlos behandelte. Respekt, Respekt, Respekt, er redete ständig davon. In diesem Fall war es besonders sinnlos, weil die Italiener die Vokabeln der Lektion vermutlich nicht einmal richtig verstanden.
Ich fand das lästig, ich wollte das Problem lösen, ich wollte keine 700 Euro für zwei neue Flugtickets bezahlen. Ich nutzte die Patt-Situation, die für einen Moment zwischen uns fünfen entstanden war. Ich gab dem Schaffner den offenen Betrag und ertrug den Rest der Fahrt Julians schlechte Laune und seine Belehrungen. Mein Wille, WikiLeaks zum unerschütterlichen Bestandteil meines Lebens zu machen, war größer als meine Sorge darum, mir zu viel gefallen zu lassen.
Als ich 2009 das Video-Interview mit Zeit Online machte, in dem es auch um die persönlichen Motive für mein Engagement bei WL ging, warf er mir vor, ich sei eine Medienhure. »Too much personality«, lautete der Vorwurf. Wir hätten so viel Arbeit, da wäre für große Interviews keine Zeit. Ich habe nach diesem Porträt versucht, mich weiter zurückzunehmen, aber das war nicht so einfach.
Auf der Journalistenkonferenz in Perugia hatte ich eine Geschichte mit dem amerikanischen Technik-Magazin Wired gemacht, mit einer jungen, freien Journalistin, Annabel Symington, die an der Londoner City University studierte. Sie sollte uns in Perugia auch mit Seymour Hersh bekanntmachen, dem amerikanischen Journalisten, der unter anderem die Vorfälle von My Lai in Vietnam aufgedeckt hatte. Wir gingen mit den beiden zusammen Pizza essen, und Hersh erzählte spannende Geschichten von seiner Zeit als Kriegsreporter. Hersh war im Gegensatz zu vielen vermeintlichen Starjournalisten uneitel und ein sehr amüsanter Gesprächspartner.
Während meines Interviews mit Annabel jedenfalls warf mir Julian die ganze Zeit über böse Blicke zu. Er meinte herausgehört zu haben, dass ich mich ihr gegenüber als einen der »Gründer« von WL bezeichnet hatte. Es war ihm immens wichtig zu betonen, dass er der einzige Gründer ist.
Ich ließ daran nie den geringsten Zweifel.
Julian sollte mir
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