Inside WikiLeaks
Rechenzentrum. Vielleicht hätten wir auch befreundete Projekte dort untergebracht und eine große WL -Flagge gehisst, um unseren Ruf als uneinnehmbare Trutzburg zu demonstrieren.
Bis zu diesem Zeitpunkt war unsere erklärte Losung: Wir wollten »die aggressivste Presseorganisation der Welt« werden. Doch plötzlich, als das viele Geld da war, änderte Julian seine Meinung. Er meinte, wir sollten eine »Insurgent Operation« sein – also eine Organisatiom von Aufständischen. Aufständische haben keine Büros, sie agieren im Untergrund. Damit stellte er in meinen Augen die Grundlage dessen in Frage, worauf wir all die Jahre hingearbeitet hatten.
Er sprach auch immer häufiger davon, dass man uns verfolgte und wir »untouchable« werden müssten, unantastbar. Er war überzeugt, dass wir auf offener Straße nicht mehr sicher wären, dass unsere Post und Koffer durchleuchtet würden, dass wir abtauchen und im Untergrund leben müssten. Er fing an, von internationalen Geheimdiensten zu reden, die uns auf den Fersen wären, und von schusssicheren Westen, die uns schützen sollten.
Ich habe zwar an unserem deutschen Staat auch jede Menge auszusetzen, aber er ist immerhin ein Rechtsstaat. Auch auf unseren Reisen nach Island, Italien oder Ungarn mussten wir meines Erachtens nicht befürchten, verschleppt oder auf offener Straße erschossen zu werden. Und bevor wir uns beschweren wollten, dass jemand unser Büro durchsuchte, wäre es doch gut gewesen, wenigstens mal eines zu besitzen.
Das Geld war leider auch das erste Thema, über das wir uns offen stritten. Ich habe Julian erklärt, dass er nicht als Einziger über das Geld der Wau Holland Stiftung verfügen könne. Es ging mir überhaupt nicht darum, irgendetwas davon an mich selbst auszahlen zu wollen. Ich wollte Entscheidungen treffen können und an das Geld herankommen, wenn wir es dringend brauchten und Julian mal wieder tagelang nicht erreichbar war. Auch die beiden Techniker waren dieser Meinung. Sie haben sogar vorgeschlagen, das Geld zu halbieren, damit nicht ein Einzelner alles vermasseln könnte. Selbst wenn einer von uns eine falsche Entscheidung getroffen hätte, wäre nicht das ganze Budget weg gewesen.
Die Abrechnungen mit der WHS waren relativ einfach: Die Stiftung streckte mir Geld vor, und dann kaufte ich davon Sachen und reichte die Quittungen ein. Ich bekam einmal 10 000 und später noch einmal 20000 Euro, die draufgingen für den Kauf von Hardware, den Transport und Reisekosten.
Wir arbeiteten alle Vollzeit für WL . Schon länger hatten wir über Gehälter nachgedacht. Mir wären 2500 Euro im Monat genug gewesen. Brutto. Ich brauchte ja nicht viel. Mit der Wau Holland Stiftung hatten wir bereits gesprochen. Die Stiftung hätte uns sehr gerne Gehälter gezahlt, und sie drangen sogar darauf, dass sie nicht zu niedrig ausfallen dürften, weil es sonst Probleme wegen des Verdachts auf Scheinselbständigkeit geben könnte. Das wäre mir auch recht gewesen. Wir haben damals überlegt, uns einfach an anderen gemeinnützigen Organisationen wie Greenpeace oder World Watch zu orientieren.
Es war Julian, der alles blockierte. Dabei war so viel Geld da wie nie zuvor. Und ausgerechnet jetzt kämpften wir um jeden Cent. Diese Geldstreitigkeiten waren unwürdig. Die Frage dahinter war eine viel größere. Mir wurde langsam klar, dass wir auf ein Problem zusteuerten. Ein ziemlich grässliches Problem. Wir stritten uns um die zukünftige Ausrichtung von WikiLeaks .
Ein Gesetz für Island
Nach unserem grandiosen Auftritt beim 26C3 Ende 2009 flogen Julian und ich Anfang Januar 2010 zurück nach Reykjavik, um uns um IMMI zu kümmern. Die Icelandic Modern Media Initiative sollte die Insel zu dem Land mit den stärksten Schutzrechten für Medien auf der ganzen Welt machen. Verkündet hatten wir die Idee bereits, jetzt wollten wir helfen, sie umzusetzen. Wir hatten für diese Aufgabe gut zwei Wochen eingeplant, drei vielleicht.
In Deutschland hatten wir gerade dazu beigetragen, das »Zugangserschwerungsgesetz« aus dem Familienministerium zu verhindern; der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte Ende November seine Unterschrift unter das Gesetz verweigert. Jetzt galt es, in Island ein eigenes Gesetz ins Parlament zu hieven. Wir rechneten mit Schwierigkeiten, aber keinen, die wir nicht bewältigen könnten. Tatsächlich sollte es noch sechs Monate dauern, bis die Parlamentarier überhaupt über einen ersten Beschlussantrag im Parlament abstimmten.
Wir
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