Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
ein schmieriger Typ, trug eine billige Kassenbrille, die über dem Steg mit Leukoplast zusammengehalten war, und Griselda stand mit bleichem Gesicht und roten Lippen daneben wie eine mittelalterliche Hexe und reichte ihm die Folterinstrumente. Wenn er Füllungen machte, gab es grundsätzlich keine Narkose; man mußte sich am Stuhl festhalten, das hatte zu genügen. Für die Extraktion von Zähnen verabreichte er Lachgas, und Trevor erinnerte sich mit Grauen an das Gefühl des Erstickens, als man ihm die Maske über Mund und Nase gestülpt und sie sich an seinen Poren festgesaugt hatte, so daß alle Atemluft draußen blieb. Danach stand man völlig benebelt auf und stolperte ins Zimmer nebenan, wo die Patienten der voraufgegangenen Sitzungen noch immer um die Spülapparate herumstanden, in die Becken spuckten oder sich das Blut aus dem Mund spülten.
Trevor schlug zunächst die übliche Richtung zur Schule ein, hügelan durch Leaview Estate, wo bereits der Briefträger und der Milchmann unterwegs waren und die Frauen ihren zur Arbeit entschwindenden Ehemännern nachwinkten, und bog dann ab in die King Street mit ihrem Kopfsteinpflaster und den eleganten Touristenläden. Die Geschäfte hier waren samt und sonders mit Spiegelglas ausgestattet und mit graphitfarbenen Treppengeländern zu den Kellergeschossen, die vollgestopft waren mit angeschimmelten Büchern, mit Spinnrädern, Spulen und anderen, heute als Antiquitäten geltenden Überbleibseln vergangener Manufakturen.
Die Schule lag am Ende einer schmalen Straße zu seiner Linken, und Trevor konnte bereits das Rugbyfeld erkennen an den weißen Spitzen der Eckpfosten und die angeschwärzten roten Ziegel des viktorianischen Glockenturms. Statt jedoch den Weg nach unten zur Schule einzuschlagen, bog er seitwärts in die engen, gewundenen Gassen zum Marktplatz, an dessen östlicher Kante - zwischen der National Westminster Bank und Jopling's Newsagent's - eine kurze Treppe mit ausgetretenen Stufen nach unten führte zur El Toro Coffee Bar, einem dämmrigen Schuppen mit einem Wandschmuck aus Stierkampf-Postern, Kastagnetten und Rumbakugeln. Trevor zog sich in die hinterste und dunkelste Ecke zurück, bestellte einen Espresso und setzte sich hin, um in Ruhe nachzudenken.
Er hatte also einen Tripper, das war klar, schließlich hatte er oft genug gehört, wie die anderen auf dem Schulhof davon gesprochen und ihre Witze gemacht hatten, ohne allerdings auf die Idee zu kommen, daß es sie auch einmal erwischen könnte. Insofern war Trevors Vorstellung von diesen Dingen eher phantasievoll als wissenschaftlich exakt, und seine Überlegungen zu den Konsequenzen, milde gesagt, ziemlich weithergeholt. Er malte sich aus, wie sein Penis schwarz wurde und faulig, wie das Fleisch ihm in einzelnen Brocken beim nächsten Gang zur Toilette abfallen würde. Zweifellos war es nur eine Frage von Stunden, bis nichts mehr übrig war. Man konnte sich behandeln lassen, das wußte er, aber er hatte keine Ahnung, wie diese Behandlung aussah. Egal, alles war besser, als auf diese Art zu sterben - sogar der Schulzahnarzt.
Zu Dr. Farmer, dem Hausarzt, konnte er unmöglich gehen, weil dann sein Vater sofort alles erfahren würde. Die Peinlichkeit war zu ertragen - aber keinesfalls, daß die ganze Sache ans Licht kam. Man würde ihm zu viele unangenehme Fragen stellen. Allerdings gab es Spezialkliniken - zumindest hatte er so was gehört -, am besten suchte er sich eine davon aus. Die Zeitungen hatten nichts gemeldet von einer Vergewaltigung, also hatte Micks Fußtritt wohl funktioniert, und die Frau hatte den Mund gehalten, aus Angst vor schlimmeren Repressalien. Andrerseits rückte die Polizei nicht unbedingt mit allem heraus, was sie wußte, insofern war es sicher besser, wenn er es nicht in Eastvale versuchte. Nur für alle Fälle.
Trevor bat den Wirt um das Telefonbuch und suchte nach den einschlägigen Kliniken und Ambulanzen. Wie er richtig vermutet hatte, gab es eine solche Einrichtung in York. Er kritzelte die Adresse auf eine Seite aus seinem Übungsheft, riß sie heraus und verließ das Lokal.
An der Busstation verstaute er Schultasche und Schulblazer in einem Schließfach und zog den Dufflecoat über Hemd und Pullunder, um nicht sofort als Schüler erkannt zu werden. Der nächste Bus nach York ging in fünfzehn Minuten. Er ging zum Zeitungsstand, kaufte eine Ausgabe des neuesten Melody Maker und setzte sich auf die grüngestrichene, rissige Wartebank.
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