Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
dem Thema beschäftigt haben. Die Mehrzahl der Untersuchungen deutet jedenfalls darauf hin, daß es sich beim Voyeurismus um eine minder schwere mentale Störung handelt, die keine Spiralwirkung haben muß und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu anderen Formen sexueller Abweichung führt.»
«Aber?»
«Aber - der Grad der Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus dem vorhandenen Testmaterial. Was nichts anderes bedeutet, als daß wir nur sehr wenige Fälle registriert haben, in denen ein Voyeur zu einem Vergewaltiger wurde. In der Regel ist dieses das Äußerste, was sich die betroffenen Patienten leisten. Was allerdings nicht heißen soll, daß keine anderen Fälle bekannt sind, und insofern gar nichts darüber aussagt, ob Ihr Mann in diese Kategorie gehört oder nicht. Es kann durchaus eine Art Knacks geben. Wenn das Zugucken ihm nicht mehr genügt, wenn es ihm nicht mehr gibt, was er braucht, wird er entweder damit aufhören oder sich möglicherweise anderen, schwereren Formen der sexuellen Gewalt zuwenden. Ich werde mal in der Dokumentation nachschlagen und Ihnen ein paar solche Fälle heraussuchen.»
«Sie sprechen von Gewalt - aber diese Leute verursachen doch keine körperlichen Verletzungen.»
«Ich gebrauche diese Vokabel ganz bewußt, denn es handelt sich hier tatsächlich um Gewalt. Sie müssen das so sehen: Wir alle werfen gern einen Blick auf das andere Geschlecht, Männer allerdings mehr als Frauen - und ich kann wohl ohne Bedenken behaupten, daß Ihr Spanner garantiert keine Frau ist. Die Frage ist nur - warum tun Männer so etwas? Es liegt wohl in der Kindheit begründet, in dem früh entwickelten Gespür, daß die Betrachtung des nackten Frauenkörpers verboten ist, ein Tabu, das ihn nur um so geheimnisvoller und begehrenswerter macht. Man braucht kein Diplom in Psychologie, um sich vorstellen zu können, warum Männer weibliche Brüste mögen - schließlich sind sie die Quelle, die uns ernährt hat und der wir unsere ersten Erfahrungen von Liebe verdanken. Ist das soweit klar?»
Banks nickte.
«Wir schauen also alle ganz gern hin. Sie sehen sich die Frauen auf der Straße an, und Sie haben den Eindruck, daß sie sich alle nur herausgeputzt haben, damit man sie bemerkt und sie ansieht. Und warum auch nicht? Schließlich dreht sich alles um dieses Eine, das den Fortbestand der Rasse Mensch garantiert. Doch an welchem Punkt wird aus diesem Schauen, das wir alle praktizieren - selbst Frauen riskieren ja heutzutage hier und da mal einen Blick auf einen Männerhintern oder auf gewisse andere Wölbungen -, ab wann also wird aus diesem Schauen Voyeurismus? Auf den Straßen, in Lokalen und sämtlichen öffentlichen Plätzen überhaupt ist alles noch in Ordnung, es gibt sozusagen eine implizite Erlaubnis zum Gucken. Und es gibt spezielle Orte, wie beispielsweise Stripteaselokale, wo man seine voyeuristischen Impulse ebenfalls in aller Öffentlichkeit ausleben kann. Das alles ist völlig legal, aber wenn eine Frau in ihrem Schlafzimmer ist und sich auszieht, um zu Bett zu gehen, will sie sicher nicht dabei beobachtet werden - allenfalls von ihrem Mann oder ihrem Geliebten. Die meisten Frauen wollen sich jedoch nicht einmal von ihren Männern zusehen lassen. Die Erlaubnis zum Schauen ist aufgehoben, und ab da wird das heimliche Hinsehen zu einem Akt sexueller Gewalt, weil es eine Nötigung, einen Eingriff, ein ungewünschtes Vordringen in ihre eigene, unantastbare Welt bedeutet und sie zu einem reinen Objekt degradiert. Habe ich mich klar ausgedrückt?»
«Sehr klar», antwortete Banks. «Und was hat der Voyeur davon? Warum macht er das?»
«Beide Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Zum einen gewinnt er zweifellos Macht über die Frau und verspürt ein gewisses Triumphgefühl bei dem Gedanken, sie zu erniedrigen. Vielleicht spielt auch Genugtuung mit hinein, weil er meint, sich rächen zu müssen für irgendwelche Untaten, die ihm andere Frauen nach seiner Einschätzung zugefügt haben. Gleichzeitig ist es eine Art Neuinszenierung früher sexueller Eindrücke, eines wie immer beschaffenen Ereignisses, dem er die erste sexuelle Stimulation verdankt und das er nun ständig wiederholt, weil es für ihn der einzige Weg ist, sich Befriedigung zu verschaffen. Sie sehen, die Sache ist ziemlich kompliziert ... Wenn es dem Voyeur gelingt, in die Privatsphäre seines Opfers einzudringen, gewinnt er Macht über die Frau. Das damit verbundene Risiko und das Element von
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