Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
formellen Bericht abgeben, sobald ich die Daten ausgearbeitet habe.»
Dergestalt verwarnt steckte Banks das Notizbuch wieder ein.
«Was denken Sie selbst über den Fall?» erkundigte sich Jenny. «Ich weiß, das ist eigentlich meine Sache als Expertin, aber ich möchte doch gern wissen, wie Sie die Dinge sehen.» Ihre Stimme schien einen leicht spöttischen Unterton zu haben. Banks war unschlüssig, ob sie ihn aushorchen wollte oder sich gar über ihn lustig machte. Aber wahrscheinlich war es einfach nur ihre Art, die Art, wie man mit Studenten im Seminar umging. Ähnlich wie Ärzte mit ihren Krankenbett-Manieren, hatten Lehrer vermutlich bestimmte UnterrichtsManieren.
«Ich fürchte, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.»
«Vielleicht kann ich Ihnen helfen ... Glauben Sie, daß die Frauen diese Taten herausfordern, zum Beispiel durch die Art, wie sie sich anziehen?»
Die Frage war heikel und genau von dem Kaliber, das er befürchtet hatte.
«Es mag durchaus sein, daß sie sich recht einladend gegeben haben, um auf normale, zivilisierte Art jemanden kennenzulernen», antwortete er, «aber das kann man natürlich nicht als Aufforderung für Voyeure oder Vergewaltiger verstehen, keinesfalls.»
Ihr Blick machte deutlich, daß sie seine Antwort billigen konnte. «Auf der anderen Seite», fuhr er fort, um sie ein bißchen zu provozieren, «wenn die Damen abends nach zehn durch dunkle Straßen spazieren - auf hohen Absätzen, in Miniröcken und knappen Blüschen -, würde ich schon sagen, daß sie zumindest sehr unvorsichtig sind, wenn nicht gar herausfordernd.»
«Mit anderen Worten, Sie glauben, daß sie es selbst so wollen?» fragte sie empört und ließ die grünen Augen blitzen.
«Keineswegs, ich glaube nur, daß die Leute - vor allem die Frauen - heutzutage viel mehr auf der Hut sein müssen. Wir alle wissen doch, wie das Leben aussieht in der Stadt, und es gibt wirklich keinen Grund mehr, davon auszugehen, daß man in einem Ort wie Eastvale immun ist gegen Sexualtäter.»
«Aber warum sollten wir nicht gehen dürfen, wohin wir wollen, wann wir wollen und wie wir wollen?»
«Doch, das sollten Sie - in einer besseren Welt. Was die unsere leider nicht ist.»
«Vielen Dank, daß Sie mich darauf aufmerksam machen. Sie scheinen ein kleiner Philosoph zu sein, wie?»
«Man tut, was man kann. Hören Sie, was wollen Sie eigentlich? Einen Schlagabtausch über Frauenrechte? Ich dachte, wir spielen mit offenen Karten, aber bitte sehr - okay, ich bin ein Mann und damit bereits schuldig! Und ich werde in einer Million Jahren noch nicht ganz begriffen haben, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Aber ich bin nicht - zumindest nach meiner Überzeugung - dieser engstirnige Heuchler, als den Sie mich hier darstellen wollen.»
«Okay, tut mir leid. Aber ich bin auch nicht gerade das, was Sie sich vielleicht unter einem Mannweib vorstellen, ich bin lediglich daran interessiert, etwas über männliche Einstellungen zu erfahren, das ist alles. Schließlich arbeite ich auf dem Gebiet - Mann, Frau, männliche und weibliche Psyche, Ähnlichkeiten und Unterschiede. Wahrscheinlich war ich deswegen die nächstbeste Wahl im Vergleich zu den brillanten männlichen Idealbesetzungen.»
Sie mußte selbst lachen über diese Wortwahl, und Banks lachte mit. Schließlich streckte sie ihre Hände, als halte sie eine Filmklappe, ließ das imaginäre Requisit zusammenknallen und sprach: «Kooperation Banks und Füller, Take zwei... Aber zuerst noch was zu trinken. Danke, nein, diesmal bin ich dran.»
Banks sah ihr wohlgefällig nach, wie sie mit langsamen, katzenhaften graziösen Bewegungen zur Bar ging und sich an die Theke lehnte, während der Barmann das bestellte Bier zapfte. Kurz darauf kam sie zurück, stellte die Gläser auf den Tisch und sagte:
«So, und nun zurück an die Arbeit . .. Was wollen Sie von mir wissen?»
«Eine Menge ...»
«Nun, dann wird es wohl ein Weilchen dauern.»
«Ich bin überzeugt, daß sich jede Minute lohnen wird.»
Jenny lächelte zustimmend. «Ja», meinte sie, «das glaub' ich auch.»
Banks machte dem beklommenen Schweigen ein Ende, indem er seine erste Frage stellte: «Ist es möglich, daß unser Spanner irgendwann zu gewalttätigeren Sexualdelikten übergeht?»
«Hmmm», antwortete Jenny. «Ich fürchte, ich muß in dieser Frage so unverbindlich bleiben wie der Rest der Wissenschaftler, die sich mit
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