Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
eine Sache, aber während einer offiziellen Vernehmung mit ihr zu flirten ist etwas völlig anderes. Habe ich mich klar ausgedrückt?»
Hatchley preßte die Lippen aufeinander und nickte.
«Sind Sie sicher, daß Carol Ellis Ihre Bemerkungen genauso aufgenommen hat, wie sie gemeint waren?»
Hatchleys Züge hellten sich auf. «Sie hat sich für Samstag abend mit mir verabredet, Sir, wenn Sie das meinen ...»
Banks mußte unwillkürlich lächeln. «Wenn das so ist, muß sich wohl irgend etwas verheddert haben im Kommunikationssystem», murmelte er. «Nun, ich werde selbst mit ihr sprechen und das wieder zurechtbiegen. Aber in Zukunft sollten Sie verdammt vorsichtig sein, ich lege keinen besonderen Wert auf dieses aggressive Frauenzimmer und der Superintendent sicher auch nicht. Halten Sie sich also besser raus aus der Voyeurs-Geschichte, und sehen Sie zu, daß Sie dem Alten in der nächsten Zeit nicht unter die Augen kommen, okay?»
«Was soll ich statt dessen tun?»
«Konzentrieren Sie sich auf die Einbrüche und die Alice-MatlockSache.» Er schob ihm die Phantomzeichnung zu. «Lassen Sie davon Kopien machen, und bringen Sie sie unters Volk. Helfen Sie Richmond, und versuchen Sie herauszufinden, ob Alice Matlock Kontakt hatte zu jungen Leuten, irgendwelchen lahmen Enten oder einsamen Herzen, so was in der Art. Haben Sie übrigens Wooller aufgesucht?»
«Ja, gestern abend.»
«Irgendwas bei rausgekommen?»
Hatchley schüttelte den Kopf. «Nein. Ist 'n komischer Vogel, auf alle Fälle, aber ich wette, er hat nichts gehört und gesehen.»
«Hatten Sie den Eindruck, daß er mit irgendwas hinterm Berg hält?»
«Mit 'ner Menge Sachen. Ganz schön durchtrieben, der Bursche, das steht fest, hat aber bestimmt nichts zu tun mit der Matlock-Sache, nein. Ich glaub allerdings nach wie vor, daß es sich lohnt, wenn wir ihn wegen der anderen Sache ein bißchen im Auge behalten. Irgendwie kriegt man regelrecht 'n fieses Gefühl, wenn man mit ihm redet.»
«Okay», stimmte Banks zu, «aber aus dem Fall halten Sie sich raus, wie gesagt. Noch etwas: Falls die Presse Wind bekommt von dieser Geschichte mit Dorothy Wycombe - was übrigens mit Sicherheit passieren wird -, wünsche ich nicht, daß Sie irgendwelche Stellungnahmen abgeben. Kein Wort, verstanden?»
«Ja, Sir. Scheint ja 'ne richtige Amazone zu sein, die Dame, äh?»
«Machen Sie, daß Sie rauskommen, Sergeant.»
Hatchley verschwand, und Banks entspannte sich, heilfroh, diese Strafpredigt hinter sich zu haben. Es machte ihm nichts aus, den Sergeant gelegentlich bei der Arbeit anzubrüllen, aber er haßte es, seinen Untergebenen eine formelle Rüge erteilen zu müssen. Warum Gristhorpe ihm den Schwarzen Peter zugeschoben hatte, war leicht durchschaubar. Ohne Frage war der Superintendent viel zu diplomatisch, um sich mit Disziplinierungsmaßnahmen Feinde zu machen - andrerseits war er aber auch zu weichherzig gegenüber seinen Männern.
Banks warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach elf inzwischen. Er beschloß, sein zweites Frühstück heute allein einzunehmen, um dem gekränkten Hatchley Gelegenheit zu geben, in aller Ruhe seine Wunden zu lecken.
* 3
Die Gesamtschule von Eastvale war früher die Grammer School, ein Gymnasium, gewesen und hatte einen guten Ruf gehabt. In jenen längst vergangenen Tagen waren die vielversprechenden Zöglinge noch von weither gekommen, viele von ihnen hatten hier ein Stipendium für Oxford oder Cambridge erworben oder waren zum Studium an eine der roten Backstein-Universitäten im Norden gegangen, um näher beim Elternhaus zu bleiben.
Es war ein viktorianischer Bau mit einer imposanten gotischen Fassade aus Spiralen, Türmchen, einer großen Uhr und einem Glockenturm und weitverzweigten, düsteren Korridoren im Innern. Anfang der siebziger Jahre war das Hauptgebäude um diverse «provisorische» Klassenräume ergänzt worden, Wohnanhänger zum großen Teil, die man einfach auf Ziegelsteine aufgebockt hatte und die den Eindruck machten, als seien sie für immer zum Bleiben bestimmt.
Mit der landesweiten Verbreitung des Gesamtschulsystems änderten sich auch in Eastvale die schulischen Verhältnisse. Die Lehrer kämpften mit überfüllten Klassen und mit Schülern so unterschiedlicher Herkunft und Fähigkeiten, daß es unmöglich wurde, die Begabten zu fördern und den Minderbegabten gerecht zu werden. Und oft genug litten die Schüler unter
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