Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
unfähigen Pädagogen, die mehr von Leichtathletik und Rugby verstanden als von Cäsars Eroberungszügen, Shakespeares Dramen oder den Quadratwurzeln negativer Zahlen.
Banks kannte diesen Ort, hatte aber das Hauptgebäude bislang noch nicht von innen gesehen. Sowohl Brian als auch Tracy gingen hier zur Schule, und die Geschichten, die sie davon zu erzählen hatten, waren nicht geeignet, Banks' Zutrauen in das Gesamtschulsystem zu stärken.
Als Kind der Arbeiterklasse hatte er stets eine starke Aversion verspürt gegen jede Form elitären Denkens, als leidlich gebildeter erwachsener Mann mit sehr viel Sinn für Wissen war er jedoch inzwischen zu der Auffassung gekommen, daß man weder mit massiver Sonderförderung noch mit Nachgiebigkeit und Hätschelei aus einem faulen, widerspenstigen Schafskopf einen Spitzenschüler machen konnte. Statt dessen hatten die mittelmäßigen Geister die Oberhand und hinderten die begabteren Schüler, sich zu entfalten und ihr Bestes zu geben. Banks wußte aus seiner eigenen Schulzeit, daß Kinder dazugehören wollten, daß sie es nicht ertrugen, von ihren Klassenkameraden geschnitten zu werden, was jedoch unweigerlich passierte, wenn sich jemand - außer im Sport - irgendwo hervortat.
Was die natürlichen Anlagen betraf, hatte er keine klare Meinung. Vielleicht kamen die einen wirklich mit besseren Hirnen auf die Welt als andere, aber das war in seinen Augen nicht die Kernfrage - der Punkt war vielmehr, daß man jedem die Chance geben mußte herauszufinden, wozu er fähig war, und eben dafür schien die idealistische Konzeption des Gesamtschulsystems eine Gewähr zu bieten. In der Praxis sahen die Dinge allerdings etwas anders aus.
Er selbst hatte bei seiner Ausbildung relativ viel Glück gehabt. Nachdem er die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium verpatzt hatte, war er eigentlich dazu verdammt gewesen, auf die örtliche Berufsschule zu gehen, um dort zu einem erstklassigen Elektriker, Maurer oder Straßenkehrer ausgebildet zu werden. Nicht daß er etwas gegen manuelle Tätigkeiten gehabt hätte - sein Vater hatte schließlich auch sein Geld als Metaller verdient, bevor er wegen einer schweren Angina vorzeitig in den Ruhestand treten mußte -, das Problem war nur, daß er sich für keinen der angebotenen Berufe interessierte.
Glücklicherweise hatte er es dann mit vierzehn Jahren, im zweiten Anlauf, geschafft. Er hatte lange und schwer gearbeitet, schließlich die Prüfung bestanden und sich am Gymnasium wiedergefunden, als neuer Mensch, aber auch als Außenseiter. Wie es aussah, hatten alle Mitschüler in den drei Jahren, die er im «Exil» verbracht hatte, bereits feste Freundschaften geschlossen, und in den ersten beiden Trimestern war er fast verzweifelt, keinen Anschluß zu finden. Tatsächlich war das alles nur die typische Vorsicht und Reserviertheit unter Schuljungen gewesen. Sobald die anderen herausgefunden hatten, daß er beim Raufen der Schrecken des Schulhofs war, daß er die beste Schleuder sein eigen nannte und beim Rugby den wahrscheinlich elegantesten Scrumhalf machte, den das Team je gesehen hatte, war er überall akzeptiert worden.
Trotzdem, wenn er so zurückdachte, war es doch ein schmerzlicher Prozeß gewesen. Schon die erste Prüfung hatte seinen Freundeskreis aufs nachhaltigste gesprengt; wer aufs Gymnasium ging, gab sich nicht mehr ab mit den Jungs von der Berufsschule, gleichgültig, wie oft man früher miteinander Commando oder Kricket gespielt hatte - und die nächste Prüfung führte zu ungefähr dem gleichen Ergebnis, mit umgekehrten Vorzeichen. Diesmal waren es die Freunde von der Berufsschule, die nicht mehr mit ihm redeten, weil sie sich von ihm verraten fühlten. Die guten und die schlechten Erinnerungen an die eigenen Schultage waren wieder lebendig geworden, jetzt, da er durch die Tore der Eastvale Gesamtschule trat.
Es war gerade Mittagspause, als er den Schulhof überquerte. Die Kinder spielten Tischtennis oder Kricket gegen Torstäbe an der Wand zum Hof oder standen rauchend im Schatten der Fahrradunterstände; die Lehrer saßen im rauchgeschwängerten Lehrerzimmer, lasen im Guardian oder kämpften sich durch das Kreuzworträtsel der Sun. Der Direktor hingegen hatte sich in sein Allerheiligstes zurückgezogen, einen sicheren Hafen, in den Banks nun geleitet wurde von einer schlanken, hübschen Sekretärin, die kaum älter aussah als eine Schülerin der Abschlußklasse.
Die in Anstaltsgrün gehaltenen Wände der
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