Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
Familien.
«Es war eine große Hilfe, daß Robin nach seiner Scheidung wieder zu uns gezogen ist», fügte sie hinzu, um dann mit einem hilflosen Achselzucken festzustellen: «Aber er wird wohl kaum für immer bleiben können, nicht wahr?»
Auf der Treppe wurden Schritte laut, und als Robin ins Zimmer trat, verabschiedete sich Mrs. Allott, um den Tee vorzubereiten.
«Hallo», grüßte Robin und schüttelte Banks die Hand. Er wirkte geradezu unnatürlich gesund, gutaussehend und jung, trotz der unverkennbaren Anzeichen, daß auch sein fülliges kastanienbraunes Haar bereits an den Schläfen zurückwich. «Sandra hat mir gesagt, daß Sie vielleicht vorbeischauen werden.»
«Ja, wegen Alice Matlock», erläuterte Banks. «Mir liegt daran, so viel wie möglich über ihr Leben zu erfahren.»
«Ich weiß eigentlich nicht, inwieweit ich Ihnen da von Nutzen sein kann, Inspector», antwortete Robin. «Das habe ich auch schon zu Sandra gesagt, aber sie wollte unbedingt, daß wir miteinander sprechen. Bestimmt haben Sie inzwischen längst ihre engeren Freunde befragt und alles erfahren, was Sie wissen wollen.»
«Sie scheint nur eine engere Freundschaft gehabt zu haben - zu einer Dame namens Ethel Carstairs -, und selbst diese Beziehung bestand offenbar noch nicht sehr lange. Die meisten ihrer Altersgenossen sind wohl längst verstorben.»
«Na ja, so ist das eben, wenn man ein so hohes Alter erreicht. Wie dem auch sei, ich sagte schon, daß ich Ihnen wahrscheinlich nicht sehr viel weiterhelfen kann, aber fragen Sie nur.»
«Haben Sie sie gesehen, in letzter Zeit?»
«Nein, schon ziemlich lange nicht mehr. Wenn ich mich recht erinnere, liegt unsere letzte Begegnung ungefähr drei Jahre zurück. Ich suchte nach einer Vorlage für ein Porträtfoto und dachte mir, daß sie genau das richtige Modell wäre. Das Bild muß irgendwo herumliegen. Wenn Sie wollen, kann ich es später für Sie heraussuchen.»
«Und davor?»
«Davor hab' ich sie jahrelang nicht gesehen. Seit dem Tod meiner Großmutter.»
«Waren die beiden enge Freundinnen?»
«Ja. Sie und meine Großmutter - das heißt die Mutter meines Vaters - haben viele Jahre zusammen gearbeitet, im hiesigen Krankenhaus. Eastvale ist kein besonders großer Ort - und war es damals noch viel weniger -, so daß es nicht weiter verwunderlich war, daß sie Freundinnen wurden. Außerdem haben sie auch die Kriegszeiten miteinander durchgemacht, und solche Dinge verbinden. Als ich klein war, hat mich meine Oma oft mitgenommen zu Alice.»
Mrs. Allott erschien mit dem Tee und ließ sich am anderen Ende des Tisches nieder.
«Können Sie mir etwas über ihre Vergangenheit erzählen?» erkundigte sich Banks.
«Nichts, das Sie nicht auch von anderen erfahren könnten, wie ich glaube. Ich habe erst später, als ich alt genug war für diese Dinge, begriffen, wie faszinierend ihr Leben gewesen sein muß, mit welchen umwälzenden Veränderungen sie konfrontiert war. Können Sie sich das vorstellen? Es gab kaum Autos, als sie klein war, und die Menschen kamen nicht sehr weit herum, aber es geht nicht nur um den technischen Fortschritt. Schauen Sie sich nur den Wandel unserer Einstellungen, unseres Verhaltens an, wie sich die ganze Gesellschaft in ihren Strukturen grundlegend geändert hat.»
«Wie ist Alice damit umgegangen?»
«Ob Sie's glauben oder nicht, Inspector, aber sie war eine regelrechte Radikale. Eine der ersten Kämpferinnen für die Rechte der Frauen, und sie ging sogar so weit, sich für die Internationale Brigade zu verpflichten und als Krankenschwester im Spanischen Bürgerkrieg zu dienen.»
«War sie Kommunistin?»
«Nicht im strengen Sinne des Wortes, soweit ich weiß. Genau wie viele andere, die gegen das Franco-Regime gekämpft haben.»
«Welche Eindrücke hatten Sie von ihr?»
«Eindrücke? Wissen Sie, ich war ein Kind, und mich faszinierte schon das Cottage, in dem sie lebte. Es war voll von allem möglichen Krimskrams. Diese Nischen, die geradezu überquollen von dem Schnickschnack, den sie jahrelang gesammelt hatte - angelaufene Feuerzeuge, viktorianische Pennies und diese alten silbernen Drei-PennyStücke, der ganze herrliche alte Trödel. Ich glaube nicht, daß ich der Hausherrin selbst damals so viel Aufmerksamkeit gewidmet habe. Ich erinnere mich noch, daß ich jedesmal ganz fasziniert war von diesem Flaschenschiff, der Miranda, daß ich es stundenlang angestarrt habe
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