Inspector Alan Banks 01 Augen im Dunkeln
bestätigt. Der Tod von Alice Madock ging sicher nicht auf das Konto dieser Jugendlichen, die es sich zweifellos nicht hätten nehmen lassen, alles zu zerschlagen - das Flaschenschiff, die Schneekugeln und jedes andere zerbrechliche Objekt in Reichweite. Nein, hier hatte jemand ganz gezielt nach Bargeld und nach Wertgegenständen gesucht, die sich in Geld umsetzen ließen. Das Element mutwilliger Zerstörung fehlte gänzlich.
Den Mantelkragen hochgeschlagen, um sich vor dem kühlen Wind zu schützen, machte sich Banks gedankenversunken auf den Rückweg ins Präsidium.
* 2
«Ich mache mir Sorgen, Gray», sagte Andrea, während beide nach einem Hauptgericht von Lasagne und Salat in ihrem Dessert aus Kirschpudding und Eiscreme herumstocherten. Es war Montag abend - Andreas Mann war zu seiner Arbeitswoche nach Bristol gestartet, und Trevor hatte seinen wöchentlichen Ausgang zum Jugendklub genommen -, so daß Graham und Andrea wie ein normales Paar miteinander zu Abend essen konnten. Die romantische Stimmung bei Kerzenlicht war jedoch leicht getrübt durch Andreas offensichtliche Nervosität.
«Was hast du denn?» erkundigte sich Graham und führte einen Löffel Kirschpudding zum Mund. «Willst du mir erzählen, daß Ronnie mißtrauisch geworden ist?»
«Nein, darum geht's nicht», versicherte ihm Andrea eilfertig, «aber es könnte leicht dazu kommen.»
Sie sah wunderschön aus, wie sie ihm da am Tisch gegenübersaß. Ihre enge schwarze Bluse spannte sich über den vollen Brüsten, und zwischen den Knöpfen zeigten sich winzige Ovale ihrer olivfarbenen Haut. Ihr glänzendes, ebenfalls schwarzes Haar fiel weich über ihre Schultern und schimmerte sanft, wenn sie den Kopf zurückwarf. Der rote Lippenstift betonte ihren vollen Mund, und in ihren dunklen Augen spiegelte sich das Kerzenlicht wie in frischpoliertem Eichenholz. Graham fand ihren Anblick ausgesprochen erregend, und ihre geistesabwesende Stimmung störte seine Pläne.
«Also, was ist los?» seufzte er schließlich und legte seinen Löffel zur Seite.
Andrea lehnte sich nach vorn über den Tisch und legte das Kinn in ihre Hände. «Es ist dieser Mann von nebenan.»
«Wooller?»
«Ja, der.»
«Und, was ist mit ihm? Ich weiß, er ist ein Kriecher und ein Widerling, aber ...»
«Weißt du noch, wie ich dir letzte Woche erzählt habe, daß er mich immer so komisch anguckt...»
«Ja.»
«Also, heute morgen hat er mich doch tatsächlich angesprochen. Ich war gerade unterwegs zum Einkaufen, und da hat er mich am Ende der Straße abgefangen und ist neben mir her gegangen.»
«Eine Frechheit! Erzähl' weiter», drängte Graham, neugierig geworden. «Hat er versucht, dich anzumachen?»
«Nein, das war's nicht. Jedenfalls nicht so direkt.» Sie schüttelte sich. «Ich bekomm' eine Gänsehaut, wenn ich nur an diese dünnen, ausgetrockneten Lippen denke, die er hat. Und an das unheimliche Grinsen, als ob er irgendwas wüßte, von dem die andern keine Ahnung haben. Er weiß garantiert Bescheid über uns, Graham, ich bin sicher.»
«Hat er das denn gesagt?»
«Nein, nicht mit Worten. Er hat sich nicht so direkt geäußert. Zuerst hat er irgendwas gemurmelt von wegen, daß ich mich bestimmt einsam fühle, weil mein Mann doch so oft weg ist. Und dann hat er gesagt, wie schön es doch wäre, daß ich einen Freund gefunden hätte, diesen netten Mr. Sharp aus unserem Laden. Er hat gesagt, daß er dich immer kommen und gehen sieht, aus seinem Hinterfenster, und daß er sich schon gedacht hat, was für ein guter Kerl du bist, weil du mir ein bißchen Gesellschaft leistest, vor allem, wo du dich doch außerdem noch um deinen Sohn kümmern mußt. Weißt du, Gray, es war die Art, wie er das gesagt hat. Seine Stimme und dieser Unterton. Einfach schmutzig, verstehst du?»
«War das alles, was er gesagt hat?» fragte Graham.
«Wie meinst du das?»
«Hat er nur davon gesprochen, daß ich dich besuche?»
«Ja, aber wie gesagt, es war mehr die Art, wie er sich geäußert hat. Als ob er mehr wüßte.»
«Erzähl' weiter.» Graham begann an seiner Unterlippe zu nagen, während Andrea ihren Bericht fortsetzte.
«Er sagte, daß nicht jeder soviel Einfühlungsvermögen hätte wie er und daß mein Mann vielleicht weniger verständnisvoll wäre - weil er sich zum Beispiel Gedanken machen würde, daß die Leute darüber reden, obwohl ja eigentlich gar nichts Schlimmes passiert. Und
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