Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
abgesehen von den paar Malen auf der Straße oder in irgendwelchen Läden. Hören Sie, wenn Sie glauben, er wär einer von diesen alten Fieslingen gewesen, dann irren Sie sich.»
«Ich habe nichts dergleichen gemeint», stellte Banks klar, war jedoch insgeheim froh, daß sie seine Bemerkung falsch gedeutet und entsprechend reagiert hatte.
Schließlich ging er alles noch einmal mit ihr durch und machte sich Notizen zu den einzelnen Punkten. Ihre Bereitschaft, ihm die nötigen Informationen zu geben, war inzwischen deutlich geschwunden, sie schien nur noch daran zu denken, sich so schnell wie möglich davonzumachen. Schließlich ließ Banks sie gehen, lehnte sich in seinen Sessel zurück und sinnierte grinsend über den Verlust seiner Anziehungskraft. Sein unwiderstehlicher Charme, sein Zauber - alles war dahin mit dem Wechsel von der Weltstadt aufs platte Land.
Vom Kirchturm, draußen auf dem Marktplatz, schlug es vier.
* KAPITEL 5
* I
Am nächsten Morgen machte sich Banks auf den Weg nach York, um Michael Ramsden einen zweiten Besuch abzustatten. Zuvor hatte er Sergeant Hatchley beauftragt, nach Helmthorpe zu fahren, Harold Steadmans Arbeitszimmer zu durchsuchen und Teddy Hackett zur Vernehmung aufs Revier zu bringen.
Es war etwa elf Uhr, als er die Randsiedlungen Yorks mit ihren bescheidenen Backsteinkasten hinter sich hatte und sich dem römischen Altstadtkern näherte. Nach einer halbstündigen Irrfahrt durch das verschlungene System der Einbahnstraßen fand er schließlich einen Parkplatz am Ufer des Ouse und machte sich zu Fuß auf den Weg zu Fisher & Faulkner, einem flachen, häßlichen Backsteinbau auf der anderen Seite der Brücke. Auf den Straßen herrschte lebhaftes Treiben.
Ein auffallend eleganter Portier wies ihm den Weg in den dritten Stock, wo ihn einer von Ramsdens Assistenten empfing und zum Büro des Chefs führte.
Ramsdens Arbeitszimmer bot freie Aussicht auf den Fluß, wo sich eben ein Ausflugsdampfer tuckernd seinen Weg bahnte. Auf dem Oberdeck hatte sich eine bunte Menge von sommerlich gekleideten Touristen versammelt. Die Objektive der Fotokameras blitzten im Sonnenlicht, während der Dampfer gemächlich dahinzog, eine immer weiter werdende Heckwelle hinterlassend, in der ein paar kleinere Ruderboote heftig auf und ab schaukelten.
Das Büro war eher klein und vollgestopft mit Büchern und Papieren. Berge von Manuskripten stapelten sich an den Seiten des Schreibtischs und der Aktenschränke oder waren achtlos auf dem Boden verstreut, zwei Bücherregale enthielten eine Sammlung der bei Fisher & Faulkner erschienenen Titel. Ramsden selbst sah auch im gedeckten Businessanzug immer noch jungenhaft aus und vermittelte den Eindruck eines leicht geistesabwesenden Atomphysikers, der einem Laien die Grundsätze der Kernspaltung auseinandersetzt und gleichzeitig in seinem Kopf irgendwelche komplizierten Formeln entwickelt. Mechanisch seine imaginäre Haartolle aus der Stirn streichend, begrüßte er Banks und bat ihn, Platz zu nehmen.
«Sie waren doch ein enger Freund von Harold Steadman», begann Banks, «könnten Sie mir vielleicht etwas Näheres über ihn erzählen? Über seine Hintergründe, wann und wie Sie ihn kennengelernt haben und so weiter.»
Ramsden lehnte sich in seinen Drehsessel und schlug die langen Beine übereinander. «Wissen Sie», meinte er und blickte zur Seite aus dem Fenster, «ich hatte eigentlich immer so etwas wie Ehrfurcht vor Harry. Nicht nur, weil er fast fünfzehn Jahre älter war - das hat im Grunde nie eine Rolle gespielt -, sondern weil wir wahrscheinlich nie so ganz über das Lehrer-Schüler-Verhältnis weggekommen sind. Als wir uns kennenlernten, war er Lehrbeauftragter in Leeds, während ich gerade mein Studium in London begann. Wir waren also weder an der gleichen Universität noch im gleichen Fach, obwohl sich diese Vorstellung heute in den Köpfen festgesetzt hat. Ich war achtzehn damals und Harry dreiunddreißig. Er war hoch intelligent und äußerst engagiert - also genau die richtige Identifikationsfigur für einen jungen Menschen wie mich.
Wie dem auch sei... Obwohl ich, wie gesagt, nach London wollte, um zu studieren, war ich zu Weihnachten und im Sommer immer zu Hause, um meinen Eltern zu helfen, das Frühstück zu machen für die Gäste und jede Menge anderer Sachen. Ich war gerne zu Hause, weil ich die Natur und die Landschaft hier liebe. Am schönsten war es, wenn Harry und Emma kamen und
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