Inspector Alan Banks 02 Eine respektable Leiche
sind.»
Banks wußte es, aus eigener leidvoller Erfahrung. «Sie gehört also nicht zu den Mädchen, die...» Er machte eine Pause, um das eher zweideutige «in Schwierigkeiten kommen» zu vermeiden und nach einer passenderen Formulierung zu suchen. «Ich meine, sie macht doch keinen Ärger oder sonst irgendwelche Schwierigkeiten?»
Kathy schüttelte den Kopf. «Nein, ganz und gar nicht, dazu ist sie viel zu gut erzogen. Sie kommt gut zurecht mit den meisten Lehrern. Natürlich hat sie immer große Ideen im Kopf, wie Anne schon gesagt hat, und träumt sich was zusammen, aber sie würde nie etwas tun, was andere verletzen könnte.»
Banks fragte sich, ob die Mädchen Sallys Verschwinden möglicherweise mit dem Fall Steadman in Zusammenhang brachten. Immerhin war Sallys Besuch auf der Dienststelle Eastvale wohl genau die Art von Sensation, mit der sie ihre Freundinnen beeindrucken konnte. Er mußte herausfinden, ob sie irgendwelche Andeutungen gemacht hatte, allerdings stellte sich auch hier das Problem, möglichst behutsam vorzugehen und die Mädchen nicht in Panik zu versetzen.
«Sie wissen vermutlich, daß Sally vor ein paar Tagen bei mir im Büro war», begann er in möglichst beiläufigem Ton, «und ich muß sagen, daß sie auf mich in der Tat genau den Eindruck gemacht hat, den Sie beschreiben - intelligent, gut erzogen und voller großer Pläne. Wobei ich allerdings zugeben muß, daß ich nicht allzu viel über diese Pläne erfahren habe.»
Kathy Chalmers errötete erneut; auch Hazel Kirk - die einzige, die bisher einfach nur dagesessen und nichts gesagt hatte - schien sichtbar verlegen. Nur Anne Downes meldete sich wieder einmal zu Wort, mit einer selbstverständlichen Offenheit, die das Bild ihrer wachen, frühreifen Intelligenz harmonisch abrundete.
«Nun, nehmen wir zum Beispiel mal diese Sache mit dem Mord», meinte sie. «Ich nehme doch an, daß Sie deswegen bei Ihnen war ...?»
Banks nickte.
«Also - sie fand das alles ungeheuer toll und aufregend, ungefähr wie einen Krimi im Fernsehen. Womit ich nicht sagen will, daß es ihr nicht leid getan hat um den armen Mr. Steadman - das hat's uns allen -, es ist nur so, daß sie die Dinge eben nicht von dieser Sicht aus betrachten konnte. Für Sally war es ein Abenteuer, verstehen Sie? Eine Art Bühnendrama, in dem sie die große Heldin spielte.»
Banks nickte beifällig zu dieser Einschätzung. Er hatte Anne auf dem richtigen Weg. «Hat sie viel über diese Sache gesprochen?» fragte er.
«Nur mit mysteriösen Andeutungen», antwortete Anne.
«Als ob sie etwas wüßte, von dem alle andern keine Ahnung haben?»
«Ja, ganz genau. Ich glaube, sie hatte das Gefühl, daß es sie irgendwie bedeutend macht, etwas bemerkt zu haben und zu Ihnen ins Büro zu gehen. Zu Anfang hat sie gedacht, Sie wären ein ganz toller Hecht», Annes Miene blieb völlig unbewegt, als habe sie nicht die leiseste Ahnung, was ihre Bemerkung bedeutete, «aber dann war sie wohl ein bißchen enttäuscht von Ihrer Reaktion. Ich weiß nicht, wieso, sie hat nichts dazu gesagt, sondern nur immer geheimnisvoller getan im Lauf der Woche.»
«Hat sie nichts Konkretes erwähnt?»
«Oh, sie hat versucht, uns einzureden, daß sie auf einer ganz heißen Spur ist», erklärte Anne und schob ihre Brille hoch. «Daß sie so eine Idee hätte, wer's war. Sonst nichts, nur Andeutungen. Und sie hat wohl nichts weiter unternommen, soweit ich weiß.»
Irgendwann würde Anne unweigerlich der Sinn dieser Befragung aufgehen, und Banks fürchtete sich bereits vor diesem Moment. Aber glücklicherweise ließ er einstweilen noch auf sich warten. Er dankte den jungen Damen, ihm ihre Zeit gewidmet zu haben, und bemerkte im Hinausgehen, daß Hazel Kirk immer noch sehr verstört zu sein schien, beschloß jedoch, vorläufig auf weitere Fragen zu verzichten und abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden.
* KAPITEL 9
* I
Es war Zeit, sich wieder auf den Fall Steadman zu konzentrieren, überlegte Banks. So beunruhigend Sally Lumbs Verschwinden auch sein mochte, war es doch ohne weiteres möglich, daß sie jeden Moment wieder auftauchte, in Birmingham oder Bristol oder sonstwo, während Steadman zweifellos tot war und sein Mörder immer noch frei herumlief.
Er sagte Weaver, wo er zu finden war, und machte sich auf den Weg nach Gratly. Dort angekommen, überquerte er die schmale Brücke, bog rechts ein in Richtung Ortsmitte und
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