Inspector Alan Banks 03 Ein unvermeidlicher Mord
Beziehung zu einem Ermordeten oder einem verurteilten Straftäter zugeben, wenn er nicht dazu gezwungen war. Aber Banks Aufgabe war, herauszufinden, ob hinter den Lügen noch ganz andere Abgründe steckten. Woher könnte Osmond den Polizisten Gill gekannt haben? Vielleicht hatten sie zusammen die Schule besucht. Oder vielleicht hatte Gill bei einem früheren Anti-Atomkraft-Protest Osmond verhaften lassen. Wenn dies der Fall war, dann würde man den Vorgang in den Akten finden. Am nächsten Morgen würde Richmond die Informationen der Special Branch bekommen.
Dennoch schien das alles bisher noch kein Motiv für einen Mord zu ergeben. Wenn er nicht mit der Tür ins Haus fiel, könnte er vielleicht am Dienstag etwas aus Jenny herausbekommen. Normalerweise sträubte sie sich nicht gegen seine Fragen, doch wenn es um Osmond ging, würde sie mit Sicherheit besonders empfindlich reagieren.
Vielleicht hatte er unprofessionell auf Jennys Anwesenheit in Osmonds Schlafzimmer und auf Burgess' Verhörmethoden reagiert. Andererseits, so erinnerte er sich, hatte ihn Dirty Dick wie einen kompletten Idioten dastehen lassen, und was noch schlimmer war, er hatte Jenny beleidigt. Manchmal dachte Banks, dass Burgess' Technik darin bestand, jeden, der in den Fall verwickelt war, so lange auf die Palme zu bringen, bis er soweit war, ihn erwürgen zu wollen. Dann konnte er ihn wenigstens wegen versuchten Mordes anklagen.
Bei seinem dritten Laphroaig und der zweiten Seite der Kassette kam Banks zu dem Entschluss, dass es nur einen Weg gab, sich an dem Arschloch zu rächen, und zwar indem er den Fall selbst und auf seine Weise löste. Burgess war nicht der Einzige, der mit verdeckten Karten spielen konnte. Sollte er sich auf die Kommunisten hinter jeder Ecke konzentrieren. Währenddessen würde Banks ein paar diskrete Nachforschungen anstellen und versuchen, jemanden zu finden, der ein Motiv für Constable Edwin Gills Tod hatte, und nicht nur den eines beliebigen Polizisten.
Aber wenn der Mensch Gill und nicht der Polizist Gill das Opfer war, dann ergab sich eine Reihe neuer Probleme. Zunächst einmal, wie konnte der Mörder wissen, dass Gill bei der Demo sein würde? Wie konnte er außerdem sicher sein, dass es zu derartigen Ausschreitungen kommen würde, um einen Mord zu vertuschen? Am verwirrendsten war die Frage, wie er davon ausgehen konnte, fliehen zu können. Doch immerhin waren das konkrete Fragen, ein Ansatzpunkt. Je mehr Banks darüber nachdachte, umso idealer erschien ihm das Gedränge einer politischen Demonstration, um einen Mord zu vertuschen.
* FÜNF
* I
Der Leichenzug schlängelte sich von der Gordon Street, wo Edwin Gill gewohnt hatte, durch die Manor Road zum Friedhof. Irgendwie, dachte Banks, war die Beerdigung eines Kollegen immer feierlicher und trostloser als jede andere. Jeder anwesende Polizist wusste, dass genauso gut er im Sarg liegen könnte. Jede Frau eines Polizisten lebte mit der Angst, dass auch ihr Mann im Dienst erstochen, erschlagen oder, heutzutage, erschossen wird. Und die Öffentlichkeit als Ganzes spürte das Erzittern und die zeitweilige Schwächung der gesellschaftlichen Ordnung.
Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche musste Banks Anzug und Krawatte tragen und fühlte sich unwohl dabei. Er lauschte der Grabrede des Pfarrers, den obligatorischen Versen aus dem Book of Common Prayer, und starrte auf die stoppeligen Nacken vor ihm. In der ersten Reihe schniefte Gills engster Familienkreis - Mutter, zwei Schwestern, Onkel und Tanten, Neffen und Nichten - und steckte sich gegenseitig Papiertaschentücher zu.
Als es vorbei war, marschierte jeder hinaus und wartete auf die Wagen, die die Trauergäste zum Leichenschmaus brachten. Die Eichen und Birken entlang der Auffahrt zum Friedhof wurden von einer steifen Brise geschüttelt. In einem Moment kam die Sonne hinter den Wolken hervor, und im nächsten wurde man von einem kurzen Schauer überrascht. Es war so ein Tag: wechselhaft, unvorhersehbar.
Banks stand mit Richmond neben dem schwarzen Polizeirover, einem Zivilfahrzeug - sein eigener weißer Cortina war für eine Beerdigung kaum geeignet - und wartete auf jemanden, der ihnen den Weg wies. Er trug einen leichten grauen Regenmantel über seinem marineblauen Anzug, aber keine Kopfbedeckung. Als er den Kragen seines Regenmantels hochschlug und gegen den kalten Wind fest um den Hals zog, glaubte er, mit seinem kurzgeschorenen, schwarzen Haar, der Narbe neben
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